An diesem Dienstag wird umgesetzt, was sich gestern schon ankündigte: nach Wochen des Liegens wird es eine erste „Begegnung“ mit dem Rollstuhl geben und damit eine sitzende Position, Beweglichkeit über das Bett hinaus!
Auch wenn Samuels Aufmerksamkeit über die Augen nicht besonders „langlebig“ ist zur Zeit und er also noch wenig von der Umgebung mitbekommt, so ist dies dennoch ein Meilenstein! Um das Ziel Rollstuhl zu erreichen, ist allerdings erstmal das Sitzen an der Bettkante vonnöten und einzuüben – das alleine fordert viel Kraft, denn der Gleichgewichtssinn ist ja doch ziemlich aus der Übung…
Mit den Augen wird versucht, einen Punkt zu fixieren, das Bett wird so weit runter gefahren, dass die Füße den Fußboden spüren können. Nach ein paar Minuten in dieser Position soll er sich aufrichten, möglichst das rechte Bein (das unverletzte) belasten – und dann, nach einem kurzen Steh-Moment, wird er rüber in den Rollstuhl gesetzt. Dort erlebt er ein paar Minuten und dann geht es auch schon wieder zurück ins Bett, wo sich Samuel nach diesem Kraftakt erstmal sichtlich erholen muss und sich auf die Seite dreht.
Nach einer kurzen Verschnaufpause mache ich ein Hörspiel der „Teufelskicker“ an – dank WLAN und Spotify hat man ja nun doch relativ viele Möglichkeiten.
Schön ist an diesem Tag noch, dass die „Empfangsdame“ des Hauses, die uns auch in der ersten Woche rumgeführt hat, sagt: also, ich hab hier ja nix zu sagen – und ich hab ja auch nur „Pudding-Abitur“ (Gymnasium für Hauswirtschaft, falls jemand mit dem Begriff nix anfangen kann), aber wenn Sie mich fragen: „Ihr Sohn geht gesund nach Hause!“
Das nehm ich natürlich gerne mit. Auch wenn ich selbst mir oft nicht vorstellen kann, wie ein oft noch apathisch schauendes Kind wieder „voll da sein soll“ bzw. wie manches, das jetzt offensichtlich nicht mehr ist, wieder wird. Aber gut, dass es eben nicht nur Menschen wie die Empfangsdame gibt, sondern auch Ärzte und Pfleger, die da sehr zuversichtlich sind – und wenn die das sagen!!!…!!!
Am Mittwoch durfte bzw. wollte Katharina mal wieder zu ihrem Bruder – wenn auch nur kurz. Aber diesmal wurde ein selbst gemaltes Türschild mitgebracht, neben dem Schild von Janno, dem Bettnachbarn, was meine Frau noch „auf die Schnelle“ angefertigt hatte. Katharina ist einfach klasse: sie focussiert sich „ganz professionell“ auf all die Dinge, die Samuel zusehends kann – und nicht auf das, was da noch fehlt…
An diesem Tag gab es auch einen rührenden Moment: als seine jüngste Schwester Elisabeth auf seinem Bauch lag und ihn anblubberte und angriente, öffnete er seine Augen und lächelte zurück.
Im Rollstuhl gab es heute ein Lachen und eine erhobene „Mandela-Faust“ – auch bei diesem Anblick lief uns ein Schauer über den Rücken. Es ist Wahnsinn, was Samuel uns zeigt – es ist Wahnsinn, wie uns Gott das Staunen lehrt über seine Taten! Denn davon sind wir zutiefst überzeugt: wir und so viele andere haben für Samuel gebetet und tun es immer noch unablässig – und wir dürfen erleben, wie Gott wirkt, wunderbar, großartig – und wir sind positiv gespannt, welche wunderbaren Momente Gott uns mit Samuel noch schenken wird.
Am Donnerstag gab es tatsächlich dann den nächsten „Quantensprung“: morgens ist Yvonne bei ihm und schickt mir irgendwann ein Foto mit einer krakeligen Schrift, auf der SAMUEL und MAMA zu lesen ist. Okay, an der Linienführung wird noch zu arbeiten sein… 😉 Aber dieses Zeichen ist der Hammer und beeindruckt alle schwer, die mit Samuel zu tun haben. All das geschieht ja auch immer noch unter einer gewissen „Dunstglocke“ der Medikamentengabe, die ihn immer noch schläfrig sein lassen. Oh man, ich bin wirklich mega-beeindruckt: von Gott und von unserem Sohn!
Die Essens-Übungen laufen auch immer besser. Leider gibt es unter den Logopäden unterschiedliche Meinungen… die eine würde am liebsten jetzt schon die Essensgabe „freigeben“, d.h. dass auch Pflegepersonal und Angehörige Breikost und ähnliches geben können – ein wichtiger Schritt hin zum Essen ohne Magensonde. Da gibt es aber wie gesagt unterschiedliche Meinungen – und wir hängen ein bisschen dazwischen.
Nur immer Sondennahrung, zwischendrin mal ein bisschen Babykost… gleichzeitig mehr Beweglichkeit und Muskelaufbau über Physio und Ergo… – das führt zu Gewichtsabnahme… Beim Wiegen wurde festgestellt, dass Samuel nun doch mittlerweile gute 5kg abgenommen hat im Vergleich zum Gewicht vor dem Unfall. Bei nun noch 30kg ist das natürlich kein Pappenstil… Aber es gibt ja die Aussicht auf Gewichtszunahme, wenn die Magensonde endlich… seufz…
Auch die Sprache kommt langsam wieder. Noch lautlos, aber doch deutlich. An diesem Tag ist ein flüsterndes HALLO und ein ebenfalls flüsterndes JA zu hören. Oh, was für eine Freude!
Ich habe in diesen Tagen das Privilleg, mit ein paar guten alten Freunden mich treffen zu können und gute, intensive, tiefgehende Gespräche zu haben. Danke euch! Es ist ja gar nicht immer so, dass ich wesentliche seelsorgerliche Impulse für mich brauche. Oft ist es schlicht und einfach das Verbunden-sein über so lange Zeit hinweg, das sich mit-teilen über persönliche Dinge beider Seiten, das Eintauchen in Themen abseits meines „Samuel-Tunnels“, das „Fachsimpeln über Gott und die Welt“, das einfach gut tut.
Schließen möchte ich heute mit der Losung von Mittwoch, d. 25.10. „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ steht im Buch der Klagelieder 3,26. Und ich merke: ja, das stimmt! Ich würde mich grundsätzlich schon auch als geduldigen Menschen beschreiben, aber in diesen Zeiten bekommt Geduld noch mal eine neue Qualität – und es ist wirklich spannend, zu entdecken, wie Gottes Hilfe zu SEINER Zeit kommt.
Das erste Wochenende in der Reha (21.-23.10.2017)
Dieser Samstag ist ein familiär bedeutender Tag, denn: Yvonne hat Geburtstag! Da gibt es – wohl wie in jeder Familie – Rituale… bei uns sind das z.B. ein Geburtstagskuchen („Mäuseködelkuchen“), ein Geburtstagstisch mit Geschenken, Kuchen, Kerzen. Gemeinsames Singen von „Du bist Du“ beim Reinkommen. Ein opulentes Frühstück… und irgendwann dann auch Besuch von Freunden, Familie…
Dieses Mal war das alles irgendwie anders… Okay, Samuel hatte schon im Sommer dafür gesorgt, dass ich meinen Geburtstag in einem Kinderkrankenhaus verbringen durfte… Die Wespengift-Allergie hatte ihn Anfang August in den „Genuss“ eines Klinikaufenthalts gebracht – und so sind wir mit Geburtstagskuchen und meinen Geschenken in die Klinik gefahren.
Dieser 21.10. war also auch kein „normaler Geburtstag“. Klar, Samuel hat gefehlt, als wir morgens gesungen haben und es gab von ihm auch kein selbstgemaltes Bild für Mama (wie sonst eigentlich immer) und und und… es war uns schon auch wehmütig zumute. Aber uns war eigentlich schon vor dem Tag klar, dass es trotzdem kein trauriger Geburtstag werden würde – denn: unser Sohn stand vor einigen Wochen noch auf der Kante zwischen Leben und Tod – und wenn er gestorben wäre… gar nicht auszudenken, wie wir unter den Umständen dann überhaupt hätten eine fröhliche Minute an diesem Tag hätten haben können/ haben wollen…
So aber war uns klar – bei aller Unsicherheit, die es nach wie vor gab, dass der Geburtstag zwar „getrübt“ wäre, aber ja doch dieses Fernbleiben von Samuel höchstwahrscheinlich nächstes Jahr nicht mehr so sein würde… und so war es dann auch möglich, diesen Tag zumindest ein bisschen zu feiern!
Das sah so aus, dass wir morgens nach einer Geburtstagsrunde mit Geschenken und Kuchen nur ein „schnelles Toast“ gefrühstückt hatten, um dann mit Katharina zusammen zu Samuel zu fahren (Charlotte blieb derweil in Winsen).
Für Katharina war es gut, diese Begegnung zu haben, eine Woche nach der letzten, wo es Samuel zwar auch schon besser ging, aber diesmal gab es ja doch auch schon noch mehr erkennbare Fortschritte, auch für sie. Sicherlich… in den ersten Tagen nach dem Unfall hatte sie noch überlegt, ob er wohl direkt nach den Ferien schon wieder Freunde würde empfangen können… mittlerweile hat sie gemerkt, dass es bis dahin noch lange würde dauern können. Aber auch für sie waren die kleinen erkennbaren Fortschritte Grund zu großer Freude!
Das schönste Erlebnis an diesem Vormittag war ein „Familienlachen“ an seinem Bett. An den genauen Grund erinnere ich mich gar nicht mehr, aber plötzlich haben Yvonne, Katharina und ich laut los gelacht – und Samuel hat „lautlos“ gelacht – aber eben auch breit und fröhlich und „gar nicht enden wollend“. Das war ein wunderschöner Moment. Eine Oase zwischen vielen „dürren Momenten“ der scheinbar apathischen Abwesenheit. Etwas, womit wir noch sehr zu kämpfen haben in dieser Zeit auf dieser Station.
Nach einem Vormittag dort (ich hatte die Zeit auch genutzt, um Katharina das gesamte Gelände bzw. die Klinik zu zeigen… die meiste Zeit hatte Yvonne mit Samuel an diesem Morgen) fuhren wir zurück nach Hause. Am Nachmittag übernahm Yvonnes ältere Schwester die „Bett-Präsenz“, so dass wir zu Hause unser „opulentes Frühstück“ (Dank an Rika und Anke an dieser Stelle) mittags um 14h nachholen konnten und dann direkt auch noch Besuch bekamen, so dass der Tag wirklich schön wurde.
Am späten Nachmittag bin ich dann noch zu Samuel gefahren – ich hatte Sehnsucht und irgendwie war es dann für mich irgendwann auch gut mit der Gesellschaft vieler Leute… Wenn mich viele Gedanken und Sorgen umtreiben, sich viele Gespräche auch um Samuels Zustand ranken, dann merke ich immer wieder, wie mich die Nähe zu Samuel beruhigt – ihn beruhigt meine Nähe auch und so ist es eine „Win-win-Situation“ 🙂
Als ich dann kurz nach 20h wieder zu Hause ankam, war die Geburtstagsgesellschaft auch schon aufgelöst und der Tag konnte in Ruhe ausklingen.
Am Sonntag war für mich wieder Gottesdienst dran, während Yvonne mit Elisabeth in Geethacht weilte und ich den Nachmittag bei ihm verbringen konnte. Solche Tage sind natürlich gut für Samuel, aber ein gemeinsames Familienleben, wo wir alle gemeinsam (bis auf ihn zur Zeit…) etwas unternehmen oder uns haben, findet allerhöchstens zum Frühstück statt.
Aber da müssen wir durch…
Durch die ersten Ess-und-Schluck-Erfahrungen (Nutella auf der Lippe, ein paaar Löffel Babykost: Apfelmus) haben wir Samuel in Aussicht gestellt, dass er am nächsten Tag auch „Monte“ Schokopudding bekommt, wenn er „brav die Magensonde drin lässt“. Mit jemandem, der nicht ganz bei sich ist, Verabredungen zu treffen, ist nicht sehr erfolgversprechend, aber wir dachten, wir lassen es mal auf den Versuch ankommen…
Immerhin gibt es ein deutliches Nicken auf die Frage, ob er das verstanden hat! Mittlerweile ist Samuel doch auch schon ein ganzes Stück wacher – und seine kuschelige Ader kommt wieder durch. Er legt den Arm um mich, drückt mich an sich, streichelt oder krault mich… das sind schon wirkliche Wonnemomente!
Am Montag war dann Schokopudding-time, Kuschelzeit und ein wenig Pedi- und Maniküre dran. Muss ja auch mal sein. Seine Schutzhose (…) findet Samuel zusehends doof, die Magensonde hat wieder nur ein paar Stunden gehalten – aber sonst war es ein erfolgreicher Tag – ohne „Meilensteine“, aber mit einer weiterhin guten Entwicklung, so dass Ärzte und Pfleger weiter staunen über das, was Samuel schon alles „zeigt“ und macht.
Die ersten Tage in Geesthacht – und erste „Quantensprünge“ (18.-20.10.2017)
Der Weg von Geesthacht nach Winsen beträgt mit dem Auto ca. 25min. Wir sind so froh, dass es uns vergönnt ist, in so erreichbarer Nähe diese Reha zu haben. Viele Menschen, die man dort trifft bzw. deren Kennzeichen man dort auf dem Parkplatz sieht, kommen von weither und sind wahrscheinlich familiär noch weitaus mehr auseinandergerissen als wir es sind… aber nichtsdestotrotz verlangt uns diese Situation viel ab. Solange mit unseren drei Mädchen alles einigermaßen läuft, ist es okay, aber wehe, eine wird krank oder so… wenn ich wieder arbeiten gehe, wird das schwer aufzufangen sein. Aber wir merken immer mehr, dass wir uns einzufinden haben in dieser Situation, dass das „von Tag zu Tag schauen“ ein Wesenszug unserer Zukunft (zumindest der kommenden MONATE) bleiben wird…
Und auch diese erste Station in der Reha-Klinik wird vorerst unser tägliches Anlaufziel – und vor allem: Samuels Zuhause bleiben. Es war schon ein ganz anderes Gefühl als im UKE, dass nun ein Schrank mit seinen Sachen gefüllt wird, dass eine Fensterbank so dekoriert wird, dass er vertraute Dinge dort wiederfindet. Es gibt eine Magnetpinwand für ihn… für Fotos, Grußkarten usw. Wie schön. Natürlich: wir hätten ihn lieber zuhause, in seinem Zimmer, würden ihm morgens, wenn er morgenmuffelig um 6.30h in die Küche kommt, seinen Kakao servieren („den hast du wieder auf 9 gekocht, Papa!“) und und und. Aber gemessen an den letzten drei Wochen sind wir froh, dass es jetzt so ist, wie es ist. Nun sollen auch langsam die Entzugs-Helfer-Medikamente runtergefahren werden… aber auch das dauert noch bis Anfang November… Geduld, immer wieder Geduld…
SEIN Kopfkissen, aus seinem Bett zuhause, darf nun auch sein Kopfkissen hier in Geesthacht werden. Und tatsächlich… langsam können wir auch dazu übergehen, dass er eine Hose anziehen und ein T-Shirt überstreifen kann. Wie gut. Auch andere kleine Schnuffelkissen hat er nun zum Polstern und zum „sich wohlfühlen“.
Mit Sorge wird gesehen, dass er sich durch das lange Liegen eine Druckstelle am Hinterkopf eingehandelt hat und auch eine an der Ferse des linken Beines, wo er ja geschient wurde (Unterschenkelbruch). Aber durch seine zunehmende Mobilität liegt er nun eben auch häufig seitlicher bzw. versucht sich sogar auf den Bauch zu legen (was aufgrund seiner Schlüsselbeinfraktur noch nicht so gerne gesehen wird), so dass die Druckstellen aber auch gute Chancen haben, abzuheilen…
Apropos Mobilität: da er sich nun häufig dreht, ist der Verband, mit dem die Schlüsselbein-Fraktur stabilisiert werden soll, auch eher nur „ständig verrutschende Deko“… aber wir kommen ja langsam aus der kritischen Phase für die Brüche raus, so dass das alles nicht mehr sooo dramatisch ist.
Mit zunehmender Wachheit nervt ihn auch seine Magensonde, die ja durch die Nase geführt wird – und die er sich auch schon das eine oder andere Mal rauszuppelt. Auch der Zugang, den er an der Hand hat, hält nicht lange… so dass man dazu übergeht, die Medikamente nun dann doch ausschließlich über die Magensonde zu geben… noch weniger „Kabellage“. Ach was sind wir froh, wenn diese ganze „Verdrahtung und Verkabelung“ ein Ende findet…
Aber wir dürfen dankbar festhalten, dass diese Mobilität vor allem ein gutes Zeichen ist (eine Physiotherapeutin meinte: „solch bewegliche Kinder haben ja eigentlich die besten Prognosen“)!
Auch die übrigen Beteiligten (Pflegekräfte, Ärzte) sind der einhelligen Meinung, dass Samuel „sehr gut dabei ist“. Worauf ist das begründet?
– es gab „auf Anweisung“ schon einige Reaktionen: Winken (!), Hände drücken, das Bein durchdrücken, Kopfnicken, Kopfschütteln, Lächeln, kurzes Fixieren des Blickes. HAMMER! HAMMER! Wir freuen uns sehr darüber und sagen Gott immer wieder DANKE!
der Pfleger, der für Samuel zuständig ist, meinte: „na, wenn der man nicht Weihnachten schon für ein paar Stunden zu Hause ist“
– die Ärztin, die ihn neurologisch begutachtet, sagte: „es gibt eigentlich medizinisch keinen Grund, nicht die vollständige Genesung von Samuel im Blick zu haben“
ja, es werden auch wieder harte Tage kommen. Nach den (O-Ton des Pflegers) „Quantensprüngen“ dieser Tage gibt es sicher auch wieder Rückschritte, Stagnationen, tränenreiche Tage. Aber wir sind nun definitiv auf einem guten – wenn wohl auch noch langen – Weg.
Gott sei Dank!
…seit heute weiß ich WIRKLICH, was Freudentränen sind!…
Und: keep on praying. Wir brauchen weiter Kraft, Liebe, Geduld, angstfreies Atmen, Geistesgegenwart!
Im Übrigen: morgen, am 21.10. hat Yvonne Geburtstag. Auf einem Samstag Geburtstag zu haben, ist eigentlich ein guter Anlass, zu feiern. Wir hatten auch schon eine lockere Raumanfrage gestartet. Aber das ist jetzt keine Option mehr… Wir wollen auch am 21.10. bei unserem Samuel sein – und auch ein bisschen Geburtstagsfeeling haben…
Die Verlegung nach Geesthacht steht an (15.-17.10.2017)
Jona musste warten. 3 Tage im Bauch des Wals, so berichtet es die Bibel. In dieser Situation weiß er nicht, was kommt. Verschluckt von der Dunkelheit, so komme ich mir in diesen Tagen und Wochen auch oft vor. Am Sonntag 15.10. steht ein Vers aus dem Buch Jona in den Losungen: Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir. (Jona 2,8)
So ist es… ich bete viel in diesen Tagen – und Nächten. Und auch wenn sich die Dunkelheit noch nicht lichtet: meine Gebete sind unablässig unterwegs und ich weiß, dass sie „ankommen“, auch wenn ich noch nicht sofort sehe, was sich an der Situation ändert.
Ich leite diesen Beitrag auch deswegen mit dieser Losung ein, weil sie so gut dazu passt, dass mal wieder Sonntag ist. Auch an diesem Sonntag bin ich im Gottesdienst – wie an allen Sonntagen seit dem Unfall. Natürlich mache ich das „beruflich gesehen“ sonst auch oft – und auch für mich persönlich haben Gottesdienste ja nicht erst seit dieser Situation eine Bedeutung. Aber ich fühle noch mal stärker die Kraft der Gebete, der gesungenen Lieder, der Predigtworte. Und die Kraft der Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der ich hinterher nicht bedrängt werde, aber doch auch nicht allein gelassen. Hier und da eine Umarmung, ein tröstendes oder mutmachendes Wort… Es ist gut, auch in solchen Zeiten Teil von Gemeinde zu sein.
An diesem Sonntag wurde entschieden, dass die Verlegung nach Geesthacht auf Dienstag verschoben wird. Noch einen Tag mehr auf der Kinder-Station, einfach weil noch ein paar Untersuchungen anstehen (Röntgen, CT), die so in Geesthacht nicht möglich wären. Dafür müsste Samuel dann extra wieder in eine Klinik gebracht werden – ein Stress, den man ihm in dieser Situation nicht zumuten möchte.
In diesen Tagen sind erste deutliche Fortschritte und „Lebenszeichen“ von Samuel zu spüren. Er reagiert auf Händedruck, hat immer häufiger (wenn auch nur kurz und nur auf „halb acht“) die Augen auf, Arme, Beine, Finger, Zehen werden bewegt… Die Motorik scheint wirklich wieder zu kommen.
An diesem Montag vormittag habe ich einen „selbstgewählten schweren Gang“ vor mir, bevor ich nach Hamburg fahre: in Niedersachsen sind die Ferien vorbei, Katharina geht nun wieder zur Schule – und Samuel wäre heute ja auch wieder los gegangen… Ich habe am Sonntag per whatsapp Kontakt mit seiner liebsten Klassenkameradin, Lea, aufgenommen. Das war total schnuffig, weil sie mir eine ca. 10minütige Sprachnachricht geschickt hat, in der sie von ihren Ferien berichtete. Das könne ich Samuel ja vorspielen… Tolle Idee! (ich hab’s seitdem beinahe täglich Samuel vorgespielt).
Und in einer der vielen Sprachnachrichten kamen wir auf die Idee, ich könne ja am Montag in seine Klasse kommen und berichten. Das hab ich dann auch gemacht. Mit nicht ganz fester Stimme und nicht ganz festen Knien… aber ich stand da, habe berichtet, so gut es ging – und versucht, die Fragen der Kinder zu beantworten bzw. ihnen deutlich zu machen, dass man momentan leider mit ziemlich vielen offenen Fragen leben müssste… Die Lehrerin begleitete mich dann noch mit feuchten Augen aus der Klasse und sagte, dass sie es unheimlich hilfreich fand, dass ich das gemacht habe… Ja, ich denke auch, dass es gut war. Kinder überlegen sich sooooo viel, es gibt so viele Fragen, Gerüchte, Bilder im Kopf. Da war das dann wohl die einzig sinnvolle Möglichkeit, alle „auf den gleichen Stand“ zu bringen. Gerne hätte ich gesagt „er kommt dann und dann wieder zurück in eure Klasse“ oder „er wird auf jeden Fall wieder so sein wie vor dem Unfall“ oder „ihr könnt ihn gerne als Klasse bald mal besuchen“… Aber es galt und gilt, diese Fragen offen zu lassen und das auszuhalten. Ich schloss mit der „Mahnung“, im Straßenverkehr immer aufmerksam zu sein, einen Helm zu tragen NIE zu vergessen – und dann kam mir noch gemeinsam mit der Klasse die Idee, dass es ja auch ähnlich wie bei Lea eine gute Möglichkeit sein könne, mir Sprachnachrichten zu schicken, die ich dann Samuel vorspiele. Manchmal ist die moderne Technik wirklich für was gut!
Katharina hat (bis auf den Müdigkeits-Flash, den es an den Montagen nach den Ferien IMMER gibt) den ersten Schultag seit dem Unfall auch ganz gut hinter sich gebracht. Ich hatte sie zur Schule gebracht und ihr angeboten, dass ich auch in ihrer Klasse sprechen könnte, aber das wollte sie nicht. Und sie ist wohl auch entgegen ihrer Befürchtungen nicht gelöchert worden…
Die letzte Nacht im Ronald-Mc-Donald-Haus, der letzte abendliche Rückweg vom UKE nach Winsen für mich… Ich bin froh und dankbar, dass es nun weiter geht, ja: dass es diesen nächsten Schritt, diese nächste Station auf Samuels Weg mit Geesthacht gibt. Natürlich: wir blicken dankbar zurück: wir sind dankbar für die lebensrettenden Maßnahmen und die gute Versorgung im UKE, für die vielen Pfleger, Schwestern, Ärztinnen und Ärzte, die mit Herzblut und Sachverstand dabei waren; für seine Patentante, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit am UKE auch täglich an Samuels Bett wachen konnte und uns großartig unterstützt hat… dankbar sind wir für euch und andere Wegbegleiter bis hier hin und weiter!
Am Dienstag dann, nach einigen Stunden Vorbereitung, letzte Untersuchungen… gegen 10.30h kam dann der Trupp von Rettungssanitätern und einer Ärztin, die Samuel in den Krankentransporter gebracht haben. Nun saß ich neben ihm, auf einem Weg in ein neues „Zuhause auf Zeit“, während Yvonne mit Elisabeth in unserem kleinen Auto hinterher fuhr. Ca. eine Stunde fuhren wir, teilweise war es ganz schön ruckelig und ich dachte mir nur: „gut, dass sein Kopf jetzt nicht mehr akut gefährdet ist. Die werden schon wissen, was sie tun.“
Man merkte Samuel die Anspannung und Anstrengung dieser Fahrt an. Er bekam auch zusätzlich noch ein Beruhigungs- und Schlafmittel, damit er die Fahrt mit möglichst wenig Aufregung hinter sich bringen kann. Auch wenn ab und an die Augen aufgingen: ich vermute, an diese Fahrt – und auch an all das, was vorher war – wird er sich nicht wirklich erinnern können…
In Geesthacht angekommen, ging es auf die Station IMC – eine Art „Intensivstation“ der Reha-Klinik, wo man eben auch mit Überwachungsmonitoren und ähnlichen Dingen Menschen aus dem „Sedierungs- in den Normalzustand“ begleiten kann und gleichzeitig schon Reha-Maßnahmen erfolgen. Nun gibt es wieder einen Fensterplatz! Und einen netten Bettnachbarn, Janno (8Jahre) zusammen mit seiner Mama Andrea. Das war schon mal ein schönes Willkommens-Gefühl. Es hätte ja auch durchaus schlechter passen können, rein menschlich betrachtet (okay, Janno ist Bayern-Fan, aber wer hat keine Fehler?!…)
Nachdem Samuel von den Pflegern aufgenommen wurde, haben wir ein erstes Mittagessen genossen, bevor wir dann ein erstes intensives Aufnahmegespräch mit der Ärztin, Frau Dr. Schmidt, hatten. Eine noch ziemlich junge, aber sehr motivierte und kompetente Ärztin, die an diesem Tag noch recht zurückhaltend war, was den weiteren Verlauf betrifft… sie konnte an diesem Tag keine der Reaktionen feststellen, die wir bei ihm in den vergangenen Tagen schon bemerkt hatten. Aber wir hatten von Anfang an ein gutes Gefühl, wussten ihn gut dort aufgehoben. Und wir waren uns ziemlich sicher, dass er einfach platt von der Reise war und in den kommenden Tagen wieder vermehrt ansprechbar sein würde…
Nach einem langen Tag fuhren wir abends gegen 19h zurück nach Winsen. Ab jetzt war für uns klar: wir übernachten gemeinsam zu Hause – und zumindest in der Zeit, in der ich noch nicht wieder würde arbeiten müssen, würden wir uns Geesthacht aufteilen. Von morgens 9h bis abends 19h können wir bei ihm sein…
aktueller Gebetsaufruf
Ihr Lieben,
so einen Blog zu schreiben, ist manchmal schwerer als gedacht… ich hinke immer noch so weit hinter der aktuellen Situation hinterher und finde nicht die Zeit, das alles in „Bälde“ aufzuholen… Und dabei sollte der Blog doch auch dazu dienen, die aktuelle Lage widerzuspiegeln.
Deshalb einfach mal ein aktueller „Einschub“, vor allem als Gebetsanregung…
Samuel macht super gute motorische Fortschritte. Mittlerweile darf/kann er aufrecht im Rollstuhl sitzen, kann Kleinigkeiten (Breikonsistenz) essen, schlucken, lachen, nicken oder den Kopf schütteln als „Nein“, reagiert auf hereinkommende Personen und vieles mehr.
Dafür sind wir sehr dankbar und bringen Gott auch diesen Dank!
Allerdings ist es nach wie vor auch so, dass es auch eine andere Seite gibt, zumindest in mir – und zumindest immer wieder…
gestern war ein Tag, wo er mir wieder mehr Sorgen macht… Vielleicht ist es auch einfach meine Geduld, die nicht ausreicht oder mein fehlendes Vertrauen in die Worte der Ärzte und Pfleger oder meine fehlende Erfahrung mit dieser ganzen Situation… bisher hat niemand davon gesprochen, dass Samuel eine geistige Behinderung davontragen würde. Aber wenn ich ihn so erlebe, bin ich einfach irritiert, dass er nicht noch wacher wird, dass er in vielen Situationen nicht adäquat reagiert (für meine Begriffe), dass er nicht spricht…
Das muss alles nicht so bleiben, ich weiß. Das kann auch mit den Medikamenten zusammenhängen, die ihn immer noch beeinträchtigen. Ich weiß.
Aber trotzdem gibt es manchmal Phasen mit dieser Scheiß-Angst. Und gestern war so ein Tag…
Ich bete zu Gott, dass Samuel nicht nur körperlich unversehrt aus diesem Unfall hervorgeht, sondern seine vollen geistigen Fähigkeiten zurück erhält und keine geistige Behinderung davontragen muss…!
Betet mit! Danke!!!
die letzten Tage auf der Intensivstation (12.-14.10.)
Losung von Donnerstag, 12.10.2017
Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Jeremia 29,11
Zukunft und Hoffnung!
….
Nach den doch ermutigenden Erkenntnissen der MRT-Besprechung am Mittwoch Abend gingen wir zum ersten Mal ohne eine bleierne Schwere in die nächsten Tage. Die Angst, Samuel zu verlieren oder ihn als dauerhaft wachkomatösen oder schwerst zerebral geschädigten Jungen zu behalten und dabei aber ja doch so viel von dem zu verlieren, was ihn in seinen ersten knapp 12 Lebensjahren ausgemacht hat, wurde kleiner bzw. wich fast ganz. Ja, wir haben zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, wie er wieder ins Leben zurückfinden würde, aber es gab doch bisher schon so viel ermutigende Anzeichen:
– keine Schädigung des Hirnstamms
– durch die bisherigen Bildgebungen sind keine irreversibel geschädigten Stellen zu erkennen
– relativ oft fielen Sätze der Ärzte wie: „wir können es nicht versprechen, dass Ihr Sohn wieder der Alte wird, aber ausgeschlossen ist es nicht“// wir sind sehr zuversichtlich// er macht es gut bisher… usw.
Und in diesen Tagen, wo begonnen wurde, die Sedierung zurückzufahren, sind eben auch schon vereinzelte Bewegungen der Arme, Beine, Hände, Füße zu sehen, sogar die Gesichtsmuskulatur zeigt erste Bewegungen…
Leider hält sich das Fieber hartnäckig… wobei: nun, nachdem die Ärztin am Mittwoch ihren „Verdacht“ geäußert hat, dass das Fieber wohl runter gehen würde in den kommenden Tagen… geht es auch runter. Zwar langsam, aber doch stetig… wir sprechen nicht mehr über 40° und mehr, sondern bewegen uns bei ca. 39°… (Freitag) – das lässt hoffen! Mit abnehmendem Fieber wird Samuel auch agiler, allerdings wird nun auch erkennbar, dass er mit Entzugserscheinungen zu tun hat… Zittern der Gliedmaßen, kalter Schweiß auf seinem Gesicht… Er ist immer recht dankbar, wenn er Berührung und vertraute Stimmen spürt, dann legt sich zumindest die Zittrigkeit. Allerdings wird man nun dazu übergehen, auch Medikamente zu geben, die die Entzugserscheinungen minimieren. Die Kehrseite dieser Medikamente: auch sie machen müde, schläfrig – und auch sie haben ein gewisses Abhängigkeitspotenzial. D.h. die Aufwachphase dauert länger und auch hier schließt sich dann irgendwann eine „Ausschleichphase“ an…
Es ist schon merkwürdig. Ursprünglich dachte ich: er wird 4 Tage sediert, dann werden die Medikamente 4 Tage ausgeschlichen und nach 8 Tagen macht er dann die Augen auf und sabbelt…
Das war wohl nix! Und trotzdem: keine Angst! Das wird alles kommen, zu seiner Zeit, so heißt es immer wieder… Und: ich darf mich immer wieder daran erinnern, dass Samuel Zeit seines Lebens ein sensibel reagierender Mensch war und auch jemand, der sich für manche frühkindliche Entwicklungsschritte etwas mehr Zeit genommen hat als andere…
Von daher: alles „im Soll…“
Bald nach der MRT-Besprechung klären sich die nächsten Schritte: am Montag würde aller Voraussicht nach die Verlegung nach Geesthacht erfolgen – und ggf. auch vorher noch mal ein Umzug auf eine normale Kinderstation. Nach eineinhalb Wochen Intensivstation und einer Schockstarre zwischen Leben und Tod nun also klar focussierte nächste Schritte… Auch das muss man erstmal unter die Füße bekommen…
Am Samstag war es dann tatsächlich so weit: Samuel kam auf ein ganz normales Krankenzimmer auf einer „ganz normalen“ Kinderstation. Nach der Zeit auf den Intensivstationen, wo er immer am Fenster lag, bekam nun sein Bettnachbar dieses Privilleg… Ein Junge, dem ein Augenlid immer zu fiel und der von daher eben nur auf einem Auge schauen konnte. Ansonsten war dieser Junge jedoch putzmunter und war möglicherweise auch etwas enttäuscht, dass Samuel nichts anderes tat als schlafen. (am Sonntag bekam dieser Junge dann auch ein anderes Zimmer zugewiesen, das war dann wohl auch besser so).
Das Fieber schien Samuel im Fahrstuhl zwischen der Intensivstation und der Normalstation gelassen zu haben… als dort seine Temperatur gemessen wurde, war sie auf Normalniveau. Wer sagt’s denn!?! 😉
Die Beatmung war weg, Samuels Atmung hatte sich soweit stabilisiert, dass hier nichts mehr an Unterstützung nötig war. Natürlich wurde noch Blutdruck, Herzfrequenz u.ä. gemessen und er bekam weiter viele Medikamente durch einen „ZVK“ – einen zentralen Venenkatheder“, der ihm aber noch gezogen werden sollte, bevor er den Weg zur Reha antritt. Und natürlich die Magensonde, durch die weiterhin ernährt wurde…
(by the way: noch mal zur Erinnerung… ich schildere das hier nicht als medizinischer Fachmann, sondern als Papa… – es kann gut sein, dass mir ein Arzt, eine Krankenschwester oder ähnliche Fachkenner zurecht hier und da widersprechen… aber mein Anspruch ist ja auch keine „medizinische Dokumentation“… Trotzdem: falls es irgendwas Wesentliches gibt, was ich hier vertüddel, könnt ihr das gerne in einem Kommentar richtig stellen…)
Zwei Besonderheiten bot dieser Samstag noch: das eine war der Besuch der großen Schwester an seinem Bett! Katharina hatte Samuel bisher noch nicht gesehen und konnte ihm nun zum ersten Mal wieder begegnen. Es waren tränenreiche Momente… aber wie sie selbst sagte „überwiegend Freudentränen“… Sie half sogar mit, seine SCHUTZHOSE (niemand würde bei einem 11jährigen Jungen von einer WINDEL sprechen…) zu wechseln, nachdem die Hose ziemlich voll… also, ähhh, ja, neee, keine weiteren Infos… – aber ich fand es beeindruckend, dass sie das gemacht hat. Sie hat sich rührend und ganz liebevoll um ihren Bruder in seiner momentanen Situation gekümmert, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Katharina, die GROSSE!!!
Das zweite, was für mich diesen Tag ganz besonders gemacht hat: Samuel blickte mich an! Seine Augen öffneten sich, er versuchte, mich zu fixieren, was ihm aber nicht wirklich gelang, es war mehr ein „durch mich durchgucken“…
Und dennoch: dieser erste Augen-Blick war für mich einfach phänomenal. Als ich an diesem Abend zurück nach Winsen fuhr, heulte ich Freudentränen ohne Ende. Natürlich… auch hier wusste ich noch nicht, wie ich ihn eines Tages wiederbekommen würde… aber zu erleben, dass er seine Augen wieder öffnet, war eines der größten Wünsche, die ich hatte, seitdem er ins UKE gekommen war.
„Geweint vor Glück“ – dieses Lied von PUR ging mir nicht nur an diesem Tag viel durch den Kopf:
MRT und das bange Warten auf Ergebnisse (9.10.-11.10.)
An diesem Montag soll also das MRT erfolgen – Samuel kommt in die „Röhre“. Mittels Magnetwellen kann eine Bildgebung erfolgen, die aufschlussreicher ist als das, was durch CT und Ultraschall bisher zu erkennen war. Zur Erinnerung: es wurden Einblutungen festgestellt, man sprach aber davon, dass keine „irreversiblen Schäden“ zu erkennen seien.
Nach dem MRT erfolgt Samuels erster Umzug: das neue „Kinder-UKE“ hat eine Intensivstation, in die Samuel kommen soll. Bisher hatte man ihn auf der alten Intensiv bzw. der eigentlichen „Kinder-Herz-Intensiv“ gelassen, da das CT wohl erreichbarer ist als im Neubau (…). Dieser Grund entfällt aber ab jetzt, da man nicht mehr davon ausgeht, dass der Hirndruck noch steigen würde bzw. sich Schäden am Gehirn als Unfallfolge jetzt noch ausbilden könnten.
Um kurz nach 11h war ich am UKE und kam gerade noch rechtzeitig, um mit Yvonne gemeinsam dem „Troß“ um Samuel in Richtung MRT folgen zu können.
Wir warteten vor dem MRT-Bereich – und auch, wenn man schon meinte, dass das MRT zwar genauer wäre, man jetzt aber auch keine grundlegend neuen Erkenntnisse erwarten würde… irgendwie war uns doch ganz schön flau…
Das Fieber stieg weiter und Samuel sprang nicht auf fiebersenkende Medikamente an… Dann könnte es am Entzug liegen… entzugslindernde Medikamente linderten das Fieber aber ebenfalls nicht… Die dritte Möglichkeit rückte immer mehr in den Focus: eine Schädigung (durch den Unfall…) der Region im Hirnstamm, die für die Temperaturregulation zuständig ist… Und bei uns machten sich Schreckensbilder breit… ein Kind, das nicht mehr in der Lage sein würde, seine Temperatur zu regeln und dauerhaft bei über 40° Körpertemperatur verbleibt, wird nicht wirklich wacher… Und wir sahen uns schon dem Szenario gegenüber, ein dauerhaft fiebernd-komatöses Kind zu haben. Oh man… es ist ja einfach zermürbend, wenn man faktisch nichts anderes hat als irgendwelche „Werte“ und irgendwelche Interpretationen der Ärzte. Die einen sagen so, die anderen so… – naja, dazu später noch mehr…
Das MRT ging vorüber und man sagte uns gleich, dass das mit der Auswertung wohl noch dauern würde… wie lange, könnte man uns nicht sagen. Es hieß aber schon, dass Samuels MRT-Auswertung nicht dringlich die erste sein würde, da sich durch das MRT-Ergebnis nicht die aktuelle Therapie ändern würde. Von daher also weiter warten… eine große Aufgabe in diesen Tagen und Wochen: warten & harren.
Am neuen Kinder-UKE angekommen, durften wir erstmal feststellen, dass NEU nicht unbedingt besser und schöner und praktischer bedeutet. Schon alleine, was den Warteraum für Eltern/Angehörige betrifft: im alten Gebäude war es ein „Wohnzimmer“ mit einer großen Glasfront mit Blickrichtung zum Eingang der Station, d.h. man war nicht abgeschottet, hatte irgendwie immer das Gefühl, nah dran zu sein. Hier war es ein kleiner Raum irgendwo in einem langen Flur, der seitlich vom Stationseingang wegführte. Man war also „abgeschottet“ und weit weg vom Geschehen. Klar, es gibt Wichtigeres! Aber ein Gefühl von „Willkommen-sein“ und irgendwie auch dazu zu gehören stellte sich hier nicht ein. Im Erdgeschoss gab es ein Café, das „Health Kitchen“, dort war es ganz nett… und wenn wir nicht gerade bei Samuel waren, haben wir doch viele Stunden auch in diesem Café verbracht.
Auch die Atmosphäre auf der Station selbst war irgendwie „klinisch rein und kalt“. Alles weiß und hell, aber irgendwie auch „leblos“. Naja, wir hatten ja schon die Erfahrung gemacht, dass das Wesentliche die Ärzte und Pflegekräfte sind, die sich um Samuel bemühen und für uns auch Ansprechpartner sind… Aber auch wenn wir vorher hörten, dass das Personal im Prinzip identisch ist… irgendwie hatten wir in den Tagen auf der neuen Kinder-Intensiv relativ häufig Ansprechpartner, die uns irgendwie anders, weiter weg, manchmal auch unerfahrener vorkamen – und uns durch manche Äußerung auch eher irritiert und verunsichert hatten…
Z.B. bei der Fieber-Thematik (s.o.). Eine Ärztin meinte, es wäre mit ziemlicher Sicherheit eine Dysfunktion, die durch eine Schädigung des Hirnstammes hervorgerufen worden ist… Was das aber nun im Endeffekt bedeutet, ob das wieder weggeht oder was auch immer… das könne sie uns nicht sagen, dazu hätte sie zu wenig Erfahrung. Was bei uns hängen blieb, war Verunsicherung. Das war nicht ihre Absicht… aber das war das, was bei uns nagte und uns eine schlaflose Nacht bescherte. Denn der aktuelle Anblick unseres Sohnes war wenig ermutigend…
Auf der ersten Intensiv hatte man Samuel bei der Fiebersymptomatik mit konventionellen Mitteln Linderung verschafft: Kühlpacks hier und da, Einreiben mit Pfefferminz-Tee… – hier war man der Meinung, das sei Quälerei für ihn… also keine Medikamente, keine konventionellen Mittel… es schien ein Teufelskreis…
Am Dienstag vormittag fuhren Yvonne und ich nach Geesthacht, um uns einmal die neue Bleibe für Samuel, die „Helios-Kinder-Reha“ anzusehen. Die dortige „Empfangsdame“, eine humorvolle Powerfrau, hatte sich für uns Zeit genommen, um uns vieles zu zeigen (die verschiendenen Stationen, die Zimmer dort, den Essbereich, Reha- und Therapie-Räume usw.) und um uns eine Begegnung mit dem dortigen Chefarzt zu ermöglichen. So hatten wir schon mal eine erste Orientierung, das war gut.
Wer sich ebenfalls orientieren möchte:
https://www.helios-gesundheit.de/reha/geesthacht/
Wir wussten: letztlich kommt es auf die Fachkenntnisse und die menschliche Beziehungsebene an, die die dort arbeitenden Menschen zu Samuel würden aufbauen können. Dennoch: das Haus war schon etwas älter, es gab lange, dunkle Flure (mit diesem gräuslich-grauen Linoleum überall… wer denkt sich sowas bloß aus…) und immer wieder begegneten uns auch teilweise schwerst beeinträchtigte Kinder und Jugendliche, bei denen man wusste: hier geht es nicht um eine vollständige Gesundung, sondern um das „Handling des Handicaps“… Auf uns machte das alles doch auch einen beklemmenden Eindruck, gerade wenn man selbst noch so unsicher ist, was den weiteren Weg des eigenen Kindes betrifft… ich dachte oft: „Oh nein, ich wünsche meinem Sohn, dass er nicht SO durchs Leben gehen muss“…
Um das an dieser Stelle mal deutlich zu machen: ich bin überhaupt nicht mit Berührungsängsten, Vorurteilen oder gar Abneigungen Menschen gegenüber behaftet, die körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen haben. Meine Tischlerlehre in der Lobetalarbeit Celle von 1994-1996 hat mich da sehr geprägt und mich viel gelehrt (auch hier: www.lobetalarbeit.de). Aber es ist doch noch mal etwas anderes, wenn dem eigenen Kind, das bisher eben auch den Status „körperlich und geistig gesund“ hatte, nun solche Beeinträchtigungen drohen… Sicher, man lernt mit allem umzugehen, aber aktuell wäre ich davon noch weit entfernt und befände mich immer noch in einem „Schockzustand“… – aber ach, das sind ja auch alles Konjunktive und wir sind von solchen Szenarien auch noch weit entfernt…
So oder so: es war gut, am Dienstag in Geesthacht gewesen zu sein und sich dieser Realität schon mal zu stellen, ein erstes Bild zu haben…
Am Mittwoch Abend, also zweieinhalb Tage nach dem MRT, gab es dann eine Besprechung der Ergebnisse… ein Ereignis, auf das wir angstvoll warteten…
Doch unsere Angst war unbegründet. Das MRT hatte ergeben, dass keine Schädigungen des Hirnstamms vorliegen. Puh… Was weitere Prognosen angeht, könne man noch keine wirklichen Angaben machen, aber es wäre medizinisch gesehen nicht verboten, eine vollständige Genesung anzupeilen…
Das war kein Versprechen, aber es eröffnete einen viel weiteren Raum als in den letzten 3 Tagen… Und: die Ärztin meinte: „ich glaube, das Fieber geht in den nächsten Tagen runter“…. – sie sollte Recht behalten.
Für die kommenden Tage steht dann ein weiteres Zurückfahren der Opiate an, möglicherweise mit noch stärkeren Entzugserscheinungen, weshalb Samuel nun auch Gegenmedikamente für den Entzug bekommt, die widerum aber auch schläfrig machen… Wenn’s denn hilft… dadurch dauert das Aufwachen natürlich NOCH länger und die ungewisse Zeit wird noch schwerer auszuhalten. Aber wir hatten uns ja schon damit angefreundet, von Tag zu Tag zu denken…
Das „Ausschleichen“ beginnt (Fr. 6.10.-So., 8.10.)
ich hatte es, glaube ich, bereits erwähnt: aus dem Koma zu erwachen ist nicht vergleichbar mit unsererem normalen Aufwachprozess: der Wecker klingelt, wir öffnen die Augen und sind mehr oder weniger sofort „da“…
Da die Sedierung mit Opiaten erfolgt, müssen diese „ausgeschlichen“ werden, d.h. Stück für Stück werden die drei verschiedenen Medikamente in der Dosierung zurück gefahren. Wenn dann die Medikamente endgültig nicht mehr gegeben werden, ist mit Entzugserscheinungen zu rechnen, die denen eines Drogen-Entzugs gleichen: z.B. Schüttelfrost, Fieber, Zittern bis hin zu einem Krampf, Halluzinationen, Schreien, Desorientierung usw.
Nicht schön… Und das dauert… Man spricht davon, dass der Körper ca. die ein- bis eineinhalbfache Länge zum endgültigen Abbau der Medikamente braucht, wie sie dem Körper zugeführt worden sind. Je nach Beschaffenheit und Sensibilität des Patienten auch evtl. noch länger…
Um Samuel diese Entzugserscheinungen zu erleichtern, wird widerum mit anderen Medikamenten dagegen gesteuert. Aber da sind wir noch nicht… das kommt erst noch…
Aktuell also der Beginn des Ausschleichens, also des „Zurückfahrens“… Das Ausschleichen der Medikamente geht einher mit der Normalisierung der Körpertemperatur bzw. keiner weiteren „Zwangskühlung“. Er lag ja auf einer Kühlmatte, die seine Temperatur etwas unter dem Normalwert hielt, um seine Körperfunktionen zu dämpfen und das Hirn dadurch noch zusätzlich zu entlasten. Das fiel nun schon mal weg…
Des Weiteren wurden uns kommende Schritte erläutert… am Montag solle das MRT erfolgen, das als etwas bessere Bildgebung noch mehr Aufschluss über Samuels Zustand geben kann. Außerdem würde man in den kommenden Tagen versuchen, ihn wieder mehr selbstständig atmen zu lassen, so dass er demnächst auch von der künstlichen Beatmung wegkommen kann…
Das sind alles kleine Schritte – aber Schritte in die richtige Richtung. Und wir haben uns ja so danach gesehnt, dass er das alles wieder selbst kann… Auch solche grundsätzlichen lebenserhaltenden Funktionen werden vom Gehirn gesteuert und könnten theoretisch „defekt“ sein – das ist aber bei Samuel Gott sei Dank ziemlich ausgeschlossen…
Die „normale Körpertemperatur“ ohne Kühlmatte war nun ein Problem… und sollte es für gut eine Woche bleiben… Am Sonntag, d.8.10. wurde zunächst leicht erhöhte Temperatur festgestellt, dies sollte sich in den kommenden Tagen noch zuspitzen bis über 40°. Über verschiedene Erklärungsmöglichkeiten zur Ursache des Fiebers werde ich im nächsten Blog-Eintrag sprechen… da waren durchaus auch Dinge dabei, die uns Angst machten…
Am 7.10. war in der Losung ein Wort aus Offenbarung 21 zu lesen: „Gott wird abwischen alle Tränen… und der Tod wird nicht mehr sein noch Schmerz noch Geschrei…“
Eine großartige Perspektive auf das Ende der Zeiten, wenn Gott alles neu machen wird. So habe ich diesen Text immer verstanden und gelesen. Und für mich auch beschlossen: nein, das ist keine Ewigkeitsvertröstung! Es ist eine Mutmachperspektive, die besagt: Gott wird am Ende alles gut machen – und das kann mir heute schon Trost geben, Mut geben, Hoffnung geben, auch schwierige Zeiten zu durchstehen.
Aber ganz ehrlich… in diesen Tagen fühlt es sich doch so ein bisschen wie Jenseitsvertröstung an… Ich möchte doch für meinen Sohn schon HEUTE kein Leid mehr, keine Tränen, keinen Tod bzw. „Absterben“ wesentlicher Lebensqualitäten… – und ich ringe mit Gott im Gebet. Sicherlich weiß ich, dass Gott meinen Samuel und auch uns als Familie am Ende so aufnimmt, dass „dieser Zeit Leiden gering sind gegenüber der Herrlichkeit, die uns erwartet“ (Röm. 8,18) und das ist ein Trost, gerade dann, wenn sich Samuels Leben zukünftig wesentlich beschwerlicher darstellen sollte als bisher. Dennoch: ich möchte meinem Gott zutrauen, dass er HEUTE körperliches Leiden beseitigen kann, dass er als Arzt, Heiland, Helfer… meinen Sohn gesund macht und so seine Macht zeigt. Ja, ich weiß um die „Macht der Liebe“, um die „ohnmächtige Liebe“ Gottes, die ihn sogar den Kreuzestod hat erleiden lassen. Aber ich weiß auch um den Ostermorgen, ich weiß um Wunder zur Zeit Jesu und auch zur heutigen Zeit, um die Kraft und die Macht des Gebetes. Und deshalb „harre ich auf Gott“, jeden Tag aufs Neue, dass er aus der Not heraus führt und Schmerz und Leid jetzt schon beseitigt.
Yvonne sprach von einem „Lichtbogen“, den sie um Samuel gesehen und gespürt hat, schon einige Tage nach dem Unfall. Ein „Lichtbogen“ aus Gebeten, Engel um ihn her. Wir sind zuversichtlich, dass sich diese Engel, diese „Gebetslichter“ positiv auf seine Genesung auswirken.
Zuhause türmen sich Rechnungen, unbeantwortete Post, unbeantwortete Anrufe… der Garten sieht immer wilder aus… Der Alltag ist ausgehebelt, nun schon fast zwei Wochen. Aber es wird irgendwann auch wieder einen Weg zurück in diesen Alltag geben – und momentan sind viele Dinge einfach zweit- oder sogar drittrangig…
was können wir für euch tun?…
Ihr Lieben!
ich habe es schon ein paar mal geschrieben: wir sind überwältigt von so viel Rückmeldungen, Mitgefühl – und auch Hilfsangeboten jedweder Art. Eigentlich schon von Anfang an kam immer auch die Frage bzw. das Angebot mit: „wenn wir irgendwas für euch tun können, sagt es uns“…
Das ist lieb und auch gut zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt, auf Hilfe zurückgreifen zu können… – und drückt vielleicht, so denken wir, auch diese „Hilflosigkeit“ angesichts dieser unfassbaren Situation aus: man MÖCHTE SO GERNE WAS TUN – so geht es uns ja auch. Und dieses „nichts tun zu können“, einfach nur hilflos dem zuzusehen, ohnmächtig dem Warten und dem Nichts-tun-können ausgeliefert zu sein, das macht eben auch fertig.
So oft ist es ja so, dass sich Situationen lindern, Schwierigkeiten meistern lassen, wenn wir nur „irgendwas tun“… – das schwingt jetzt vielleicht nicht bei jedem, der uns Hilfe anbietet, mit. Aber wir haben gemerkt, dass es uns so geht in dieser Situation – und von manchen tatsächlich auch diese Rückmeldung bekommen, dass es gut tut, etwas tun zu können…
Was kann man denn tun… in so einer Situation?
Für Samuel tatsächlich ja nun erstmal gar nix. Der „Hauptbetroffene“ liegt auf der Intensiv-Station und das einzige, was für ihn getan werden kann, ist das, was die Pfleger und die Ärzte auf der Station tun. Und das ist eine Menge – das ist lebenserhaltend.
Aber natürlich gibt es etwas, was man, was ihr für Samuel tun könnt – und was viele von Anfang an getan haben: nämlich Gott in den Ohren liegen, dass er Erbarmen mit Samuel hat, dass er gnädig ist und Samuel am Leben erhält, ihm seine vollumfängliche Gesundheit wieder gibt. Es ist großartig, wie oft ich gehört habe: wir beten für Samuel! Teilweise auch von Menschen, die ihn oder auch uns kaum kennen. Whow!!! „Beten heißt: „Reden mit Gott und Hören. Beten kann Sorgen in Freude kehren. Gott hat versprochen, Gebet zu hören. Bete – und nimm ihn beim Wort“ – so ist der Refrain eines alten Liedes („Kennst du schon den Bericht von Petrus“) das ich in meiner Konfi-Zeit sang, und dessen Text ich in einem Konfi-Test zum Thema Gebet vor über 30 Jahren aufschrieb. Und dieser Refrain kommt mir auch in diesen Tagen immer wieder in den Sinn. Gott hat versprochen (!), Gebet zu hören. Wie gut. Und deshalb: Danke euch Betern!
Für uns als Familie ist die Situation momentan natürlich schon sehr „anspruchsvoll“, wobei wir auch in den Tagen, in denen Samuel im UKE lag, recht gut versorgt waren: Katharina und Charlotte waren in Neu Wulmstorf versorgt, Yvonne und Elisabeth waren im Ronald-Mc-Donald in Eppendorf gut untergebracht und ich war ja auch entweder in HH oder schlafend in Winsen. Alltag war nicht. Von daher gab es in dieser Zeit auch gar nix zu helfen (bis auf ein paar praktische Kleinigkeiten am UKE (Danke, Sebastian!!!) oder leckere Essen für Willem (da war mal eine leckere Hochzeitssuppe oder gute Hausmannskost. Herrlich!!!) Ach ja: es gab tatsächlich auch eine Geldspende für „vermehrte Fahrtkosten“. Das hat uns auch sehr gefreut! 🙂
Nach den Herbstferien, also ab der zweiten Oktoberhälfte, startet der Alltag in Winsen für Charlotte und Katharina wieder – und gleichzeitig war schon abzusehen, dass Samuel dann wohl nach Geesthacht in die Reha kommen würde. Die nächste Steigerung ist dann sicherlich die Phase, wo ich dann wieder nach HH zur Arbeit muss… Die Familie an zwei Orte auseinandergerissen und ich dann noch an einem dritten Ort… das ist eine Zeit, die sicherlich viele Anforderungen an uns stellt, bei denen wir froh sind, wenn die eine oder andere Kleinigkeit im Alltag abgenommen werden kann, damit z.B. Yvonne (immer ja auch mit Elisabeth im Schlepptau) beruhigter in Geesthacht sein kann oder auch für Katharina oder Charlotte manche Dinge weiter funktionieren. Dabei ist es sicher nicht ratsam, wenn sich Menschen hier bei uns die Klinke in die Hand geben, damit unsere beiden Mädels betreut sind… zuviel wechselnde Bezugspersonen sind in dieser Zeit auch schwierig… Von daher sind wir froh, dass wir im näheren familiären Umfeld Menschen haben, die es sich einrichten können, für eine Weile bei uns zu wohnen und so für Charlotte und Katharina Kontinuität zu gewährleisten. Aber die vielen kleinen Dinge… Mal was im Garten oder im Haushalt… vielleicht mal Fahrtdienste oder doch mal ein kurzer Babysitterdienst, ein Einkauf vielleicht… irgendwas, das fehlt oder kaputt ist, zu besorgen oder zu reparieren… Ja, da gibt es so einige Möglichkeiten.
Und: wir haben uns entschieden, dafür eine whatsapp-Gruppe einzurichten „Hilfe in schweren Zeiten“. Da sind schon viele Leute dabei – so viele, dass es fast beschämend ist. Wir haben uns gedacht, dass es in so einer Gruppe am leichtesten ist, wenn wir dort den Menschen, die Hilfe angeboten haben, signalisieren, was konkret gebraucht wird – und dann können die Menschen reagieren, bei denen es zeitlich und auch sonst passt. Dann wissen wir Bescheid und alle anderen, die helfen wollen, ebenso! Die bisherige Erfahrung damit zeigt: es geht prima. Danke auch an dieser Stelle für alle Hilfsbereitschaft, die sich auch in der Gruppe zeigt.
Uns ist sehr wohl bewusst, dass es zeitgleich viele andere Menschen gibt, die zeitgleich in ähnlichen Nöten stecken und wir wollen auch nichts ausnutzen oder uns dadurch Vorteile verschaffen, die uns anderen gegenüber privillegiert sein lassen. Möglicherweise, so haben wir gedacht, können wir auch durch diese whatsapp-Gruppe auf Nöte anderer aufmerksam machen: z.B. andere Kinder, die in Geesthacht untergebracht sind und bei denen uns auffällt, dass es hier oder dort fehlt…
Und dann gab und gibt es von einigen die Frage nach finanzieller Hilfe. Das ist für mich ein nicht ganz leichtes Thema. Stichwort „nicht bereichern wollen und so“… und auch hier: es gibt viele Menschen, denen es auch finanziell an etwas fehlt – und warum sollten ausgerechnet wir davon profitieren bzw. uns anderen gegenüber im Vorteil sein lassen?
Es gibt ja immer mal wieder herausfordernde Situationen im Leben, die einen auch finanziell vor gewisse Schwierigkeiten stellen, Löcher ins Budget reißen oder so… nicht nur bei uns, sondern auch bei vielen (allen?!), die uns Hilfe anbieten. Von daher… eigentlich wollen wir das ja selbst „wuppen“ können…
Und doch… sind wir ja dankbar dafür, wenn es Menschen gibt, die sagen: praktisch helfen können wir nicht (z.B. weil wir weit weg wohnen), aber wir sehen die zusätzliche finanzielle Belastung durch Fahrtkosten oder so… und da helfen wir gerne aus…
Deshalb wollen wir es hier halten wie mit den praktischen Dingen: wir wollen uns freuen über finanzielle Hilfe, die uns bzw. Samuel zugute kommt – und da gibt es schon einiges: z.B. für ein neues Fahrrad… hoffentlich… irgendwann…; einen neuen, noch sichereren Fahrradhelm, evtl. die eine oder andere therapeutische Maßnahme, die ihm helfen kann, wieder gesund zu werden bzw. Fähigkeiten wieder zu erlangen; wir denken an Menschen, die uns in diesen ersten Wochen auch finanziell zur Seite gestanden haben, indem sie uns bzw. unsere Kinder versorgt haben und auch dafür extra Ausgaben in Kauf genommen haben, wir denken an sowas wie „entlastenden Kurzurlaub“ am Ende des langen, aufreibenden, anstrengenden Reha-Weges“, tatsächlich auch Fahrtkosten oder mal die eine oder andere „Extra-Portion“ an schönen Dingen für Katharina und Charlotte, die auf ihre Weise an der Situation zu knabbern haben… manche sprachen auch schon davon, dass es ja vielleicht irgendwann nötig sein würde, Verdienstausfall aufzufangen… (das glaub ich ja noch nicht… will da positiv bleiben… aber wer weiß das schon…) Also kurz und gut: es gibt tatsächlich finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten für UNS.
Aber – s.o. – ich möchte nicht nur an uns denken! Wir haben uns entschieden, dass wir das Geld, das rein kommt, von Anfang an so verwenden, dass wir 10% davon an die Werke weitergeben, die uns bisher begleitet haben: die Ronald-Mc-Donald-Stiftung bzw. speziell das Haus in Eppendorf, die Arbeit für Eltern der Kinder auf den Intensivstationen am UKE, die Arbeit in Geesthacht, ein Verein, der sich um Kinder mit SHT kümmert…
Und am Ende von „samuelswegzurück“ (dieses gute Ende gibt es hoffentlich – und es gibt dieses positive Ende hoffentlich auch in erreichbarer zeitlicher Nähe) würden wir alle Gelder, die wir bis dahin nicht verwenden mussten, komplett diesen o.g. Werken, Verbänden, Vereinen und Institutionen zugute kommen lassen.
Das ist, so denke ich, ein guter Weg, diese Möglichkeit der finanziellen Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Praktisch würde es so gehen: wenn sich jemand entschließt, finanziell helfen zu wollen, bitte eine Mail an willem.f@web.de – und ich schicke dann die näheren Infos wie Kontodaten usw. – das möchte ich ungern hier veröffentlichen (abgesehen von dem dezenten Hinweis, dass es auch via PayPal möglich wäre…)
Also: Hilfe durch Gebet, praktisch, finanziell… es gibt viele Möglichkeiten und wir sind sehr, sehr, sehr dankbar für alle und alles!
Die letzten Tage der vollen Sedierung (Di. 3.10.-Do.5.10.)
Der Tag nach dem Konzert von Reinhard Mey war der Feiertag, der „Tag der deutschen Einheit“. Wir haben an diesem Tag das Zusammensein mit Katharina und Charlotte genossen, die am Nachmittag nach Hamburg ins Ronald-Mc-Donald-Haus kamen. (in der UKE-Zeit haben wir ca. alle drei Tage versucht, einen Nachmittag mit ihnen zu verbringen. Sie haben den Aufenthaltsraum vor der Intensiv-Station gesehen, den Weg von der Klinik zum „RoMCDo“ und eben das RoMcDo selbst, unser Appartment und die anderen räumlichen Möglichkeiten. Auch auf dem Spielplatz im Park vor dem UKE sind wir gewesen, das war dann vor allem für unsere dreijährige Charlotte richtig gut. Die Abschiedsszenen sind dann für uns mindestens so hart gewesen wie für Charlotte… „Ich will bei Papa mitfahren“, „Ich will zu Hause schlafen“… was soll man auf solche Sätze antworten… mir wurde selbst das Herz schwer, aber es ging ja nun mal nicht anders…
Samuel hat in diesen Tagen „seinen Job gemacht“ – er hat tief und fest geschlafen, es gab keine Komplikationen, stabile Werte, so dass wir langsam, aber sicher immer gewisser waren, dass er am Leben bleibt. Welches Leben das sein würde, konnte uns niemand prognostizieren – aber LEBEN ist immer besser als endgültiger Abschied.
Dennoch waren in diesen Tagen viele Fragen wieder sehr präsent: wie würde das werden, wenn er ein dauerhafter Pflegefall würde? Wie würden die Schwestern damit umgehen? Wie würden wir das packen mit vier Kindern, von denen eines so viel Aufmerksamkeit braucht wie sonst vielleicht drei?!?…
Aber es macht keinen Sinn, sich von diesen Fragen verrückt machen zu lassen. Wir lernen immer wieder, nur von Tag zu Tag zu denken und zu handeln.
Ich habe in diesen Tagen neu wirkliche Freundschaften zu schätzen gelernt. Freunde, die einfach mal so kommen oder für ein Telefonat zu haben sind. Die Sprachlosigkeit, Fassungslosigkeit, Traurigkeit… aushalten und gar nicht schnell bei der Hand sind mit klugen Worten, sondern einfach „nur?“ da sind.
Das war – und ist – großartig. Wenn ihr das hier lest, wisst ihr ja, dass ihr gemeint seid. Danke euch!
Die Beziehung zu unserem Sohn ist in diesen Tagen naturgemäß irgendwie anders. Sie ist nicht weg, natürlich nicht – aber sie ist doch ja recht einseitig… Aber ich habe die starke Hoffnung, dass diese Beziehung sich wieder in allen möglichen bunten Farben ausgestalten lässt. Dass wir wieder zusammen lachen können, ich seine Tränen trockne, dass wir einander kitzeln, jagen, manchmal auch streiten, uns aus Spaß boxen, miteinander unangenehme und angenehme Aufgaben erledigen, kleine und große Touren miteinander machen, Neuland entdecken… Selbst in diesen Tagen der Sedierung spüre ich Samuels unbedingten Lebenswillen…
Und ich spüre und erlebe weiterhin, wie viele Menschen sich im Gebet vor Gott stellen, um ihn anzuflehen, Samuel gesund werden zu lassen. Ich lese auch in diesen Tagen die Losungen. Wie immer, naja, zumindest seit über 30 Jahren…
Aber sie sprechen anders, direkter zu mir. In diesen Tagen z.B. aus Hebräer 11, dort heißt es: „Und was soll ich noch mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten. Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft, des Feuers Kraft gelöscht, sind der Schärfe des Schwerts entronnen, aus der Schwachheit zu Kräften gekommen, sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Flucht geschlagen.“
Ich wünsche meinem Sohn diese Erfahrung, die der biblische Samuel und viele andere Menschen gemacht haben: durch die Nähe zu Gott zu erleben, dass ein Weg aus der Schwachheit zu neuer Kraft führt, dass Kämpfe gewonnen werden…
Mein Sohn ist ein „Kämpfer“, das haben schon viele gesagt. Und ich will daran festhalten, dass er auch diesen Kampf mit Gottes Hilfe siegreich gestalten kann.
Natürlich: Gebet ist kein Automatismus. Alles ist Gnade, alles muss an SEINEM Ratschluss vorüber. Aber Gott liebt – immer. Und Gott KANN Wunder tun. ER ist mächtig – mächtig gegen Krankheit und Tod. Und ich wehre mich dagegen, alles Geschehene fatalistisch hinzunehmen, frei nach dem Motto: Was auch immer passiert – es wird gut sein. Nein, ich will, dass mein Sohn lebt, dass er diesen beschissenen Moment auf der Hoopter Straße nicht damit bezahlt, dass er um sein Leben gebracht wird. Weder indem er stirbt, noch indem er fortan ein Leben führt, dass von mehr Beeinträchtigungen geprägt ist als von Lebensfreude und Lebensqualität.
Nein, ich klage Gott diese Situation. Ich klage Gott nicht an, ich verklage ihn nicht. Aber ich klage ihm diese Situation und ich hoffe, flehe, bitte, dass er Samuel wieder ein Leben ermöglicht, das in etwa mit dem vergleichbar ist, das er vor seinem Unfall führen konnte…
Kyrie eleison. Herr, erbarme dich. So ist mein Gebet. Morgens, tagsüber, abends…
Kleine Freuden in diesen Tagen: wenn ich abends nach Hause komme, ist Essen da. Gekocht von der Nachbarin, die Samuel am Unfallort fand. Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen, sagt man. So ist es hier auf jeden Fall!
Yvonne und ich halten in diesen Tagen einander fest, tun uns gut – mal ist der eine schwach, mal der andere, mal wir beide gleichzeitig – und das ist okay.
Umarmungen, gemeinsame Tränen, aufmunternde Worte, Schweigen, Beten… und immer wieder die Gewissheit, einander zu lieben und diese Zeiten in gemeinsamer Liebe durchstehen zu wollen, zu können?!?…!!!
Welch ein Geschenk!
