Jona musste warten. 3 Tage im Bauch des Wals, so berichtet es die Bibel. In dieser Situation weiß er nicht, was kommt. Verschluckt von der Dunkelheit, so komme ich mir in diesen Tagen und Wochen auch oft vor. Am Sonntag 15.10. steht ein Vers aus dem Buch Jona in den Losungen: Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir. (Jona 2,8)
So ist es… ich bete viel in diesen Tagen – und Nächten. Und auch wenn sich die Dunkelheit noch nicht lichtet: meine Gebete sind unablässig unterwegs und ich weiß, dass sie „ankommen“, auch wenn ich noch nicht sofort sehe, was sich an der Situation ändert.
Ich leite diesen Beitrag auch deswegen mit dieser Losung ein, weil sie so gut dazu passt, dass mal wieder Sonntag ist. Auch an diesem Sonntag bin ich im Gottesdienst – wie an allen Sonntagen seit dem Unfall. Natürlich mache ich das „beruflich gesehen“ sonst auch oft – und auch für mich persönlich haben Gottesdienste ja nicht erst seit dieser Situation eine Bedeutung. Aber ich fühle noch mal stärker die Kraft der Gebete, der gesungenen Lieder, der Predigtworte. Und die Kraft der Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, in der ich hinterher nicht bedrängt werde, aber doch auch nicht allein gelassen. Hier und da eine Umarmung, ein tröstendes oder mutmachendes Wort… Es ist gut, auch in solchen Zeiten Teil von Gemeinde zu sein.
An diesem Sonntag wurde entschieden, dass die Verlegung nach Geesthacht auf Dienstag verschoben wird. Noch einen Tag mehr auf der Kinder-Station, einfach weil noch ein paar Untersuchungen anstehen (Röntgen, CT), die so in Geesthacht nicht möglich wären. Dafür müsste Samuel dann extra wieder in eine Klinik gebracht werden – ein Stress, den man ihm in dieser Situation nicht zumuten möchte.
In diesen Tagen sind erste deutliche Fortschritte und „Lebenszeichen“ von Samuel zu spüren. Er reagiert auf Händedruck, hat immer häufiger (wenn auch nur kurz und nur auf „halb acht“) die Augen auf, Arme, Beine, Finger, Zehen werden bewegt… Die Motorik scheint wirklich wieder zu kommen.
An diesem Montag vormittag habe ich einen „selbstgewählten schweren Gang“ vor mir, bevor ich nach Hamburg fahre: in Niedersachsen sind die Ferien vorbei, Katharina geht nun wieder zur Schule – und Samuel wäre heute ja auch wieder los gegangen… Ich habe am Sonntag per whatsapp Kontakt mit seiner liebsten Klassenkameradin, Lea, aufgenommen. Das war total schnuffig, weil sie mir eine ca. 10minütige Sprachnachricht geschickt hat, in der sie von ihren Ferien berichtete. Das könne ich Samuel ja vorspielen… Tolle Idee! (ich hab’s seitdem beinahe täglich Samuel vorgespielt).
Und in einer der vielen Sprachnachrichten kamen wir auf die Idee, ich könne ja am Montag in seine Klasse kommen und berichten. Das hab ich dann auch gemacht. Mit nicht ganz fester Stimme und nicht ganz festen Knien… aber ich stand da, habe berichtet, so gut es ging – und versucht, die Fragen der Kinder zu beantworten bzw. ihnen deutlich zu machen, dass man momentan leider mit ziemlich vielen offenen Fragen leben müssste… Die Lehrerin begleitete mich dann noch mit feuchten Augen aus der Klasse und sagte, dass sie es unheimlich hilfreich fand, dass ich das gemacht habe… Ja, ich denke auch, dass es gut war. Kinder überlegen sich sooooo viel, es gibt so viele Fragen, Gerüchte, Bilder im Kopf. Da war das dann wohl die einzig sinnvolle Möglichkeit, alle „auf den gleichen Stand“ zu bringen. Gerne hätte ich gesagt „er kommt dann und dann wieder zurück in eure Klasse“ oder „er wird auf jeden Fall wieder so sein wie vor dem Unfall“ oder „ihr könnt ihn gerne als Klasse bald mal besuchen“… Aber es galt und gilt, diese Fragen offen zu lassen und das auszuhalten. Ich schloss mit der „Mahnung“, im Straßenverkehr immer aufmerksam zu sein, einen Helm zu tragen NIE zu vergessen – und dann kam mir noch gemeinsam mit der Klasse die Idee, dass es ja auch ähnlich wie bei Lea eine gute Möglichkeit sein könne, mir Sprachnachrichten zu schicken, die ich dann Samuel vorspiele. Manchmal ist die moderne Technik wirklich für was gut!
Katharina hat (bis auf den Müdigkeits-Flash, den es an den Montagen nach den Ferien IMMER gibt) den ersten Schultag seit dem Unfall auch ganz gut hinter sich gebracht. Ich hatte sie zur Schule gebracht und ihr angeboten, dass ich auch in ihrer Klasse sprechen könnte, aber das wollte sie nicht. Und sie ist wohl auch entgegen ihrer Befürchtungen nicht gelöchert worden…
Die letzte Nacht im Ronald-Mc-Donald-Haus, der letzte abendliche Rückweg vom UKE nach Winsen für mich… Ich bin froh und dankbar, dass es nun weiter geht, ja: dass es diesen nächsten Schritt, diese nächste Station auf Samuels Weg mit Geesthacht gibt. Natürlich: wir blicken dankbar zurück: wir sind dankbar für die lebensrettenden Maßnahmen und die gute Versorgung im UKE, für die vielen Pfleger, Schwestern, Ärztinnen und Ärzte, die mit Herzblut und Sachverstand dabei waren; für seine Patentante, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit am UKE auch täglich an Samuels Bett wachen konnte und uns großartig unterstützt hat… dankbar sind wir für euch und andere Wegbegleiter bis hier hin und weiter!
Am Dienstag dann, nach einigen Stunden Vorbereitung, letzte Untersuchungen… gegen 10.30h kam dann der Trupp von Rettungssanitätern und einer Ärztin, die Samuel in den Krankentransporter gebracht haben. Nun saß ich neben ihm, auf einem Weg in ein neues „Zuhause auf Zeit“, während Yvonne mit Elisabeth in unserem kleinen Auto hinterher fuhr. Ca. eine Stunde fuhren wir, teilweise war es ganz schön ruckelig und ich dachte mir nur: „gut, dass sein Kopf jetzt nicht mehr akut gefährdet ist. Die werden schon wissen, was sie tun.“
Man merkte Samuel die Anspannung und Anstrengung dieser Fahrt an. Er bekam auch zusätzlich noch ein Beruhigungs- und Schlafmittel, damit er die Fahrt mit möglichst wenig Aufregung hinter sich bringen kann. Auch wenn ab und an die Augen aufgingen: ich vermute, an diese Fahrt – und auch an all das, was vorher war – wird er sich nicht wirklich erinnern können…
In Geesthacht angekommen, ging es auf die Station IMC – eine Art „Intensivstation“ der Reha-Klinik, wo man eben auch mit Überwachungsmonitoren und ähnlichen Dingen Menschen aus dem „Sedierungs- in den Normalzustand“ begleiten kann und gleichzeitig schon Reha-Maßnahmen erfolgen. Nun gibt es wieder einen Fensterplatz! Und einen netten Bettnachbarn, Janno (8Jahre) zusammen mit seiner Mama Andrea. Das war schon mal ein schönes Willkommens-Gefühl. Es hätte ja auch durchaus schlechter passen können, rein menschlich betrachtet (okay, Janno ist Bayern-Fan, aber wer hat keine Fehler?!…)
Nachdem Samuel von den Pflegern aufgenommen wurde, haben wir ein erstes Mittagessen genossen, bevor wir dann ein erstes intensives Aufnahmegespräch mit der Ärztin, Frau Dr. Schmidt, hatten. Eine noch ziemlich junge, aber sehr motivierte und kompetente Ärztin, die an diesem Tag noch recht zurückhaltend war, was den weiteren Verlauf betrifft… sie konnte an diesem Tag keine der Reaktionen feststellen, die wir bei ihm in den vergangenen Tagen schon bemerkt hatten. Aber wir hatten von Anfang an ein gutes Gefühl, wussten ihn gut dort aufgehoben. Und wir waren uns ziemlich sicher, dass er einfach platt von der Reise war und in den kommenden Tagen wieder vermehrt ansprechbar sein würde…
Nach einem langen Tag fuhren wir abends gegen 19h zurück nach Winsen. Ab jetzt war für uns klar: wir übernachten gemeinsam zu Hause – und zumindest in der Zeit, in der ich noch nicht wieder würde arbeiten müssen, würden wir uns Geesthacht aufteilen. Von morgens 9h bis abends 19h können wir bei ihm sein…
