ein lang erwartetes Wiedersehen – und die Tage davor (Do. 2.11.-Sa.4.11.2017)

Vorab: diesmal wird’s lang… 🙂

Zur Zeit geht es „Schlag auf Schlag“ mit den Fortschritten im motorischen und kognitiven Bereich. So viel, dass es teilweise schwer fällt, alles zu behalten – auch schon nach ein paar Tagen. Aber darüber will ich nicht jammern – sondern jubilieren! Wer hätte das gedacht? (Der Oberarzt sagt am Freitag: „Samuel ist unser Überflieger hier“. Auch das nehmen wir gerne mit!)
Nachdem einige Spiele der Ergotherapeutin nicht so wirklich Anklang fanden, meinte Yvonne, ich solle doch mal Elfer raus mitnehmen. Das mag er. Gesagt – getan. Und: ja, er spielt mit! Natürlich nicht die „volle Version“, sondern eine Light-Variante: ich lege die 4 unterschiedlich farbigen 11er Karten hin und zeige ihm immer eine Karte, die er zuordnen soll. Fehlerfrei, 10min. lang! Mir bleibt der Mund offen stehen. Hammerhart, der Junge!
Mit der Sprache gibt es noch einige Verständnisschwierigkeiten. Viel Nuscheln, aber das Sprechen ist schon um einiges besser als am Vortag. Dazu kommen viele motivierte und sehr freundliche Logopäden, die Zungenakrobatik mit Samuel machen, so dass er die Muskeln in diesem Bereich immer besser trainiert. Schlucken ist schon eine Selbstverständlichkeit; ein „Kauschlauch“ testet sein Kauvermögen… ein rundes, langes Gummiteil wird in Apfelmus getaucht und dann soll er auf beiden Seiten abwechselnd kauen. Funktioniert prima. Als Belohnung steht ein Nutella-Brot am kommenden Tag in Aussicht. Mit Quark, so wie er es liebt! Die Flüssigkeiten werden noch etwas angedickt, aber auch das „läuft“ schon super die Kehle herunter.
Ich bin an diesem Tag ausnahmsweise mal vormittags bei ihm und Mama hat ein bisschen freie Zeit, die sie unter anderem dafür nutzen kann, zum Friseur zu gehen (schreibt man das so? Was ist das überhaupt?… hab ich glaub ich schon über 25 Jahre nicht mehr genutzt…). Es ist schön, in diesen ja doch stressigen und vollgepackten Zeiten kleine Oasen zu haben, in denen mal etwas „zum Wohlfühlen“ möglich ist.
Auch motorisch zeigt die Kurve weiter nach oben. Ja, seine Bewegungseinschränkungen (Stützverband am linken gebrochenen und genagelten Unterschenkel, Stützverband für die linke Schulter/ das Schlüsselbein, der auch den linken Arm quasi still legt) nerven ihn total und er zuppelt immer wieder an all diesen Dingen rum. Natürlich auch an der Magensonde… Aber nichtsdestotrotz: er sitzt selbstständig und ohne Hilfe an der Bettkante, schaut sich im Raum um, steht auf, setzt sich hin… das klappt alles schon wirklich super!
Wir spielen immer wieder Ball. Werfen und Fangen – er hat es nicht verlernt, auch wenn natürlich der linke Arm/ die linke Hand gar nicht wirklich mitspielen kann im Moment.
Und ich provoziere sein Lachen! Kitzel ihn immer wieder durch. Zur Entspannung gibt es auch heute wieder Hörspiele von den „Teufelskickern“. Heute kriegt die Mama mal einen „abgekämpften Samuel“ und ich hatte das Vergnügen, die „powervolle Phase“ mitzubekommen. Auch schön 🙂
Was uns in vielen Tagen beeindruckt, ist die finanzielle Unterstützung, die wir bekommen! Manchmal auch verbunden mit „kreativen Ideen“, wie z.B. eine geplante Lesung oder auch, dass Samuel „einfach so“ als „Spendenzweck“ einer bestimmten Aktion, die ohnehin gelaufen ist, bestimmt wird. Das ist so klasse!
————– Einschub: Ich schrieb es ja schon an anderer Stelle, wiederhole das hier aber auch gerne noch mal: Unsere Idee ist es, das Geld auf unterschiedlicher Ebene einzusetzen: evtl. für anfallende Therapiekosten, oder aber auch für Extrabelastungen unsererseits (z.B. Fahrtkosten täglich 2x nach Geesthacht), oder aber auch für „Extra-Freuden“ der Geschwisterkinder, für Kleinigkeiten im Haushalt, die wir selbst z.Zt. nicht geregelt kriegen, wo wir aber dann Unterstützung „einkaufen“, evtl. ein „Erholungsurlaub“ für die ganze Familie, wenn die Strapazen der Reha überstanden sind und der Familienalltag wieder möglich ist usw.
Das, was wir so nicht brauchen, würden wir an die Organisationen spenden, denen wir bis jetzt auch schon einiges verdanken: dem Ronald-MC-Donald-Haus in Eppendorf, dem UKE-Kinderkrankenhaus incl. Elternhilfe dort, dem Klinikum in Geesthacht, einem Verein für Familien mit Kindern, die Schädigungen durch ein SHT erlitten haben.
Diesen Organisationen geben wir schon jetzt 10% von dem, was wir an Finanzieller Unterstützung bekommen.
Praktisch geht das so: entweder man spendet via paypal an willem.f@web.de oder man erfragt über diese Mail-Adresse unsere Kontodaten. Dann erkläre ich auch weitere Details. Einschub ENDE! ——
Auch der Freitag ist ein wichtiger Tag im Genesungsprozess! Denn: seit diesem 3.11. gegen 18h ist Samuel endlich, endlich, endlich seine MAGENSONDE LOS!! Dieses verhasste Ding, an dem er so oft rumzuppelte, was seine Atmung beeinträchtigte, sein Sprechen usw. Er hatte sich diese Sonde so oft selbst gezogen (in Spitzenzeiten 3-4x an einem Tag), sie musste dann immer wieder neu eingesetzt werden. Auch das ist natürlich äußerst unangenehm, der ganze „Kanal“ wird natürlich auch sensibler… So gab es beim Ziehen auch noch mal einen unangenehmen Moment, der zu Tränen geführt hat, aber nach einem kurzen Trösten konnte ich ihm klar machen, dass ab jetzt das Leben wieder ein ganzes Stück genussvoller wird, weil mit jedem Tag wieder mehr „gewohntes und geliebtes Essen und Trinken“ den normalen Weg nehmen kann. Heute wurde ein Anfang mit einem kleinen, von Yvonne vorbereiteten Picknick, gemacht: ein Nutella-Brot mit Quark. Hmmm, wie lecker! Samuel aß das, als hätte es nie eine Unterbrechung dieser Art gegeben – und zwischenzeitlich fütterte er mich auch mit einem Stück! Ich mag das zwar nicht so wie er… aber alleine, dass er mit dem feinmotorischen „Pinzettengriff“ das Brotstück zielsicher in meinem Mund platzierte, war ein bedeutsamer Moment für uns alle.
Es gab an diesem Tag noch etwas sehr schönes für Samuel: sein Patenonkel Bernd kam aus Hameln zu Besuch! Bernd hatte Samuel zuletzt am Samstag nach dem Unfall auf der Intensivstation in Eppendorf gesehen – und das war natürlich ein völlig anderes Bild, ein „Unterschied wie Tag und Nacht“, wie Bernd sagte. Oder auch: wie Tod und Leben. Sie konnten miteinander scherzen, Bernd erzählte ihm etwas von einem Stadionbesuch, brachte noch ein Geschenk mit in Form von BVB-Kleinigkeiten (BVB-Taschentücher waren auch dabei, momentan ja auch wirklich besonders wichtig! ;-)…) und er hörte „Hallo Bernd“ und „Tschüss Bernd“ aus Samuels Mund. Es war wirklich schön. Am Ende des Besuchs gab es noch ein Nachtlied mit Gitarre und ein Abendgebet von Bernd.
Und übrigens: wir wurden ja sehr häufig in den letzten Wochen gefragt: wie geht es Samuel? Und konnten ja eigentlich nur aus unserer „Fremd-Sicht“ berichten, was es eben medizinisch zu berichten gibt. Wie es ihm wirklich geht, war ja irgendwie auch ein Stück Spekulation. Heute gab es vormittags eine Sprachnachricht, in der er sagte: Hallo Papa, wie geht es dir? Mir geht es gut!

…und mir geht das Herz auf! Unser Wunderkind! 🙂
Zwei Dinge lassen sich zu diesem Tag noch erwähnen: zum einen haben wir mit meinem Arbeitgeber auf der einen und der Krankenkasse zur anderen Seite die Entscheidung treffen können, dass ich mich nun doch bis Ende November noch von der Arbeit freistellen lasse, um mich als „Haushaltshilfe“ zu Hause einsetzen zu lassen. Da dies offiziell ein unbezahlter Urlaub ist, gibt es ja Verdienstausfall – und dieser wird von der Krankenkasse ausgeglichen. Wir sind sehr froh über diese Möglichkeit – und über die Kooperation der daran beteiligten Personen bzw. Organisationen. Gut dass es so etwas gibt.
Das andere: Am Abend findet in Winsen ein Konzert des „Sternenstaub-Chores“ anlässlich seines 10jährigen Bestehens statt. Samuel ist seit Sommer auch Mitglied des Chores und hätte an diesem Abend auch auf der Bühne gestanden. Yvonne wollte nichtsdestotrotz zu diesem Konzert – schon allein, um ein paar „Hörbeispiele“ aufnehmen zu können und sie Samuel dann vorzuspielen. Wir hoffen, dass er bei der nächsten (oder übernächsten) Konzertgelegenheit wieder mitmischen kann. Die Chancen dafür stehen jedenfalls recht gut!
Am Samstag kommt es, wie oben schon angekündigt, zu einem ersehnten Wiedersehen zwischen unserer dreijährigen Charlotte und ihrem großen Bruder SCHAMUEL! Das war so schön zu sehen! ein „Hallo Charlotte“, ein „im Rolli auf den Schoß nehmen“, ein Knuddeln und Kuscheln und gemeinsames Singen, ein nebeneinander im Bett liegen und miteinander Ball spielen… es war einfach schon wieder so viel möglich an diesem Tag – und auch wenn sie anfangs etwas irritiert war über seinen momentanen Zustand, der ja doch noch etwas weiter von dem entfernt ist, wie es vor dem Unfall war, so hat sie ja doch vieles von ihrem Samuel wiederentdecken können und sich einfach so sehr gefreut. Diese Freude war auch Samuel ganz deutlich abzuspüren und wurde von uns allen geteilt.
Und auch seine große Schwester, Katharina, hat ihn an diesem Tag sehr gefordert: sie stellt ihm kleine Rechenaufgaben, fragt ihn etwas auf englisch und er antwortet das richtige auf englisch, stellt ihm Scherzfragen, die er korrekt beantwortet (was ist braun und hinter Gittern – Samuel: „eine Knastanie“) – hammer, hammer, hammer stark! Dazu kommt noch die Wiederentdeckung des Lesens: beim Fahren über den Flur liest er Schilder und Beschriftungen. Der Junge ist schon beinahe wieder schulfähig…
Naja, das braucht noch ein bisschen. Nichtsdestotrotz wird uns mitgeteilt, dass er am 20.11. auf eine normale Station in dem Haus verlegt wird, weil er ja nun demnächst kein Monitoring o.ä. mehr benötigt. Das ist auch eine schöne Aussicht. Die Ärztin spricht bei ihm momentan vom „Durchgangssyndrom“, es ist noch vieles ungeordnet („so ähnlich wie in einem chaotischen Durcheinander im Kinderzimmer“) und es braucht einfach seine Zeit, bis sich die Dinge wieder ordnen. Die soll er haben – aber, hey: wir sind alle so baff über die wenige Zeit, die er für so vieles benötigt hat bisher.
Was mich persönlich sehr freut, ist das Wiederkehren seines „Ich-Bewusstseins“. Z.B. wenn er dem Pfleger morgens beim Duschen (es gibt ein Liege-Dusch-Bett) sagt: „ich möchte gerne aufrecht sitzen“ – und sich hinsetzt. Das sind einfach so kleine Dinge, die zeigen, dass er auch als Person, als Persönlichkeit wieder kommt. Auch das gemeinsame Musik-machen (ich spiele Gitarre, er klopft rhythmisch auf eine Trommel) gehört dazu. Wir freuen uns so in diesen Tagen.
Nach einem Toilettengang (im Rolli zur Toilette und dann endlich mal wieder auf einer normalen Toilette sitzen!) und Zähneputzen am Rolli vor dem Waschbecken wird der Schlafanzug angezogen und nach dem Gute-Nacht-Lied und Gute-Nacht-Gebet gehe ich dann gegen 18.50h aus seinem Zimmer. Er schläft erschöpft, aber sehr glücklich, ein!
Wir blicken auf schöne Tage zurück! Und ich blicke ab jetzt mit euch zusammen auf eine Zeit, in der dieser Blog tatsächlich immer (in 3-Tages-Schritten) das Aktuellste bietet und nicht mehr hinterher hinkt. So kann ich jeden Tag das aufschreiben, was es an dem Tag gab – und nach drei Tagen wird es dann euch allen lesbar zur Verfügung gestellt!

2 Antworten auf „ein lang erwartetes Wiedersehen – und die Tage davor (Do. 2.11.-Sa.4.11.2017)“

  1. Danke Willem, für dies
    en wunderbaren Bericht. Danke Gott für seine Hand, die er über Samuel hält. Danke Samuel, der nicht aufhört zu kämpfen und danke an alle Therapeuten.
    Danke, dass ich/ wir uns mitfreuen können durch diesen Blog und weiter zielgerichtet beten könne.
    Ich Wünsche euch viel Geduld, immer wieder den Blick für die großen aber vor allem auch für die kleinen Fortschritte. Ich bin solo froh.

  2. Hallo Willem, vielen Dank für die Infos und ich danke Gott, dass Samuel solche Fortschritte machen kann. Ich lese und höre gerne von euch und denke weiter im Gebet an eure Familie. Ich wünsche euch viel Kraft und Gottes Segen.
    Lieben Gruß Mathias

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