Nach der Ansage, das Wochenende müsse Samuel auf jeden Fall komplett in Geesthacht bleiben, hatten wir eine unruhige Nacht. Wir haben keine wirkliche Begründung dafür gehört, die uns zufrieden gestellt hätte, wir haben Samuels und unsere eigene Enttäuschung darüber wegstecken müssen und wir haben auch, Katharinas Geburtstag vor Augen (und die ganzen Vorbereitungen dafür) nicht wirklich eine Idee gehabt, wie wir gleichzeitig in Winsen vorbereiten bzw. feiern wollen und zusätzlich in Geesthacht bei Samuel sein können…
Am Samstag morgen dann war mein Plan einfach der, nach Geesthacht zu fahren, Samuel in eine Jacke zu stecken und mit ihm loszufahren. Auf Nachfrage hätte ich dann gesagt „es geht auf einen Tagesausflug“/Fahrt ins Blaue oder so… Dass eine Fahrt ins Blaue auch nach Winsen führen könnte, wäre zumindest eine Option gewesen…
Dann aber kam mir der Gedanke, dass uns ja mal bei einer Visite gesagt wurde, dass die Kinder, wenn der Unfall mindestens 8 Wochen zurück liegt, durchaus tagsüber nach Hause dürften. Und so beschloss Yvonne, vor meiner Abfahrt doch noch mal in Geesthacht anzurufen und genau mit dieser Aussage noch mal nachzufragen. Gesagt – getan. Und zu unserer Verwunderung hieß es dann plötzlich: Oh ja, das stimmt natürlich… das ist wohl nicht vernünftig kommuniziert worden… natürlich darf er auch an diesem Wochenende tagsüber nach Hause…
Ohne Worte…
Egal. Ich also los – und Samuel erwartete mich schon sehnlichst. Wir haben gar nicht viel Zeit verloren und sind quasi kehrtwendend wieder aus der Klinik in Richtung „Home, sweet home“. Ich habe mir abgewöhnt, darüber nachzugrübeln, warum nun doch plötzlich… oder mich darüber aufzuregen, dass es zwischendurch eine entgegengesetzte Aussage gab… Das kostet nur unnötig Zeit und Energie!
So sind wir zu Hause angekommen und hatten, anders als am Wochenende zuvor, kein ruhiges, entspanntes WE vor uns, sondern in gewisser Weise schon auch Stress… Am Sonntag wird Katharina 13 – und somit ein echter Teenie 😉 – und der Samstag stand mehr oder weniger ganz im Zeichen der Vorbereitung darauf. Das war für Samuel – und dann auch für uns – irgendwie auch anstrengend bzw. suboptimal… Samuel „läuft halt noch nicht wieder einfach so mit“, sondern er braucht schon auch noch Beschäftigung oder Ruhezonen oder eben auch einfach „Betreuung“, weil er sich sonst mit seiner dreijährigen Schwester Charlotte sehr schnell immer wieder auch auf dem Niveau von Dreijährigen zofft…
Um das zu realisieren, brauchten wir aber doch auch irgendwie das ganze Wochenende…
Am Samstag bin ich zwischendrin noch zum Einkaufen los gewesen und habe mich bei der Gelegenheit noch mit dem „anderen Advent“, einem Kalender für die Advents- und Weihnachtszeit, versorgt. Immer wieder stehen so viele wertvolle und gute Gedanken darin. Diesen Kalender kaufe ich seit ein paar Jahren immer auf dem Weihnachtsmarkt in Stelle, dem Ort, in dem ich Diakon war, bevor ich nach Fuhlsbüttel ging – ein Nachbarort von Winsen. Dort angekommen, traf ich auf viele liebe Leute, die alle Bescheid wussten über die Situation mit unserem Sohn bzw. in unserer Familie – und es tat gut, von vielen doch auch noch mal zu hören: „wir beten für euch“, „wir denken an euch“ – oder andere ermutigende Sätze.
Ermutigend… Im „anderen Advent“ steht gleich zu Beginn etwas, das ich sehr gut auf Samuel beziehen kann:
es geht um „Kintsugi“! Kintsugi stammt aus Japan und heißt „Goldreparatur“. Wenn eine wertvolle Keramikschale in Scherben zerbricht, wird sie wieder zusammengefügt. Nicht ohne sichtbare Risse, das wäre ja unmöglich.
Aber: Die Bruchstellen werden nicht nur mit besonderem Kitt und Lack geflickt, sondern auch mit Goldstaub. So wirken die Brüche besonders kostbar, das ganze Gefäß ist neu und anders, es glänzt sogar.
Jede wiederhergestellte Schale zeigt: Ich bin gebrochen, an verschiedenen Stellen. Ich habe vieles überstanden. Es hat Mühe und Zeit gekostet, wieder ganz zu werden, wieder neu gefüllt werden zu können. Aber genau das macht mich einzigartig. Mit dem Advent bricht nicht über Nacht eine heile Zeit an. Aber er kann uns bestärken, neu auf die Suche zu gehen – nach goldenen Spuren. (Iris Macke)
Samuel wird auch Risse davon tragen. Macken vielleicht. Auf jeden Fall Narben… Was dieser Text so nicht benennt, ist mein Glaube: Gott selbst ist es, der in der Lage ist, diesen Zerbruch von Samuel wieder zusammenzufügen und dabei sogar aus den zerbrochenen Momenten seines Lebens etwas besonders kostbares werden zu lassen. Wir sind gespannt auf Gottes Arbeit, wenn er Samuel wieder „herstellt“, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.
Während ich unterwegs war, war Yvonne mit allen Kindern alleine – und nun merken wir, dass es für alle Beteiligten besser ist, wenn wir so langsam aber sicher wieder aufbrechen. Es kommt auch schon an diesem Tag mal zu Situationen, wo wir Samuel mit einem etwas schärferen Ton zurechtweisen, wenn er mal wieder seine Schwester Charlotte „traktiert“. Wohl wissend, dass er diese „Zurechtweisung“ auch bald wieder vergessen haben wird – und auch mit einem schlechten Gefühl versehen, da wir ja eigentlich nach wie vor unendlich dankbar für alles sind, was bei Samuel wieder „lebendig geworden ist“.
Nichtsdestotrotz wird er sich ja auch einfügen müssen in das, was in der Familie an Regeln einfach auch wichtig bleibt… Und von daher „müssen wir da alle durch“…
Bevor ich mit Samuel wieder nach Geesthacht fahre, freuen wir uns noch alle zusammen darüber, dass sich Samuels Grundschullehrerin bei uns gemeldet hat. Seit über einem Jahr ist Samuel nun ja schon an der IGS, aber auch seine ehemalige Lehrerin ist voller Anteilnahme für ihn. Das freut Samuel sichtlich 😉
An diesem Sonntag wird unsere große Katharina nun schon 13 Jahre alt! Whow! Und wo wir vor einigen Wochen noch froh gewesen wären, wenn wir diesen Tag zusammen mit Samuel in Geesthacht hätten verbringen können, freuen wir uns nun umso mehr, dass das alles bei uns zu Hause stattfinden kann! Frühmorgens will ich Samuel abholen… und verschlafe erst mal. Das ist ziemlich blöde, weil wir ja unseren Plan im Kopf hatten: um 10h wollen die Gäste kommen, wir wollen vorher noch ein bisschen was vorbereiten und davor noch genügend Zeit haben, um Geschenke auszupacken, zu singen usw.
Ich wollte eigentlich um 7h wieder in Winsen sein, mit Samuel. Stattdessen wache ich erst um halb sieben auf – um dann festzustellen, dass es draußen Eisregen gibt und sich die Fahrt natürlich auch noch dadurch weiter verzögert.
Tja, dumm gelaufen, aber ein typischer Fall von „is jetzt so“.
Ich beschreibe das so, weil das exemplarisch widergibt, was oft in den letzten Wochen passiert ist… John Lennon hat es mal so formuliert: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen“.
Pläne machen ist das eine – aber es gelassen und entspannt anzugehen, wenn die Pläne nicht funktionieren, ist oft viel wichtiger.
Der Geburtstag ist schön. Die Hütte ist voll. Samuel hat für Katharina auch ein selbstgemachtes Geschenk: einen Minion, den er in der Ergotherapie selbst gesägt hat (Laubsäge-Minion) – die erste „aktive und zuende gebrachte Arbeit“ nach seinem Unfall. Vielleicht nicht künstlerisch das Allerbeste, was er jemals hervorgebracht hat – aber es hat einen unschätzbaren ideellen Wert.
Samuel ist „mittenmang“ dabei, zieht sich aber oft auch raus. Langweilt sich schnell, wenn er nicht „bespaßt“ wird – und fängt dann an, Charlotte zu triezen. Wir freuen uns, dass er nachmittags auch Leute findet, die mit ihm spielen und ihm so die Langeweile nehmen. Für uns ist es teilweise auch ein Spagat: wir wollen gerne mit unseren Gästen zusammensein, realisieren aber auch, dass wir dann bei ihm fehlen – obwohl er ja da ist. Tja, das ist eine dieser Zerreißproben, die es auszuhalten gilt. Aber unterm Strich bleibt die Dankbarkeit, dass er diesen Tag mit uns begeht, trotz aller Einschränkungen, die momentan noch vorhanden sind.
Als ich ihn zurück bringe, wird mir deutlich, dass dieses Wochenende für ihn nicht sehr erholsam gewesen sein muss… Aber darüber wird in den kommenden Tagen noch nachzudenken sein…
Montags ist mein „home-office“-Tag, was in dieser Zeit ganz praktisch ist. So kann ich nach getaner Arbeit noch zu ihm fahren und ein bisschen Zeit mit ihm verbringen. Heute ist wieder Fußball angesagt – und Woche für Woche läuft es besser. Vor dem Gute-Nacht-Sagen gibt es noch einen kurzen Small-talk mit einer Mitarbeiterin aus Geesthacht, die unter anderem nun für Samuel zuständig ist. Sie kommt aus Stelle und ist eine ehemalige Kindergottesdienst-Mitarbeiterin, die Samuel schon im KiGo kennenlernen konnte. Die Welt ist klein 🙂
Während ich bei Samuel bin, ist meine Frau mit allen Mädchen los, um Katharinas großes Geburtstagsgeschenk einzulösen: ein FAHRRAD! Nach dem Unfall ist uns allen, auch ihr, ganz wichtig, ein verkehrssicheres und einfach gutes Fahrrad zu haben und – na klar: niemals (!) ohne Helm unterwegs zu sein!
…morgen werden wir erfahren, dass es nach der Rücknahme der Rücknahme der Erlaubnis, am Wochenende nach Hause zu fahren, wieder mal eine Rücknahme davon gibt…
Aber davon beim nächsten Blog-Beitrag mehr…
