Samuels 12. Geburtstag – und das Ende dieses Blogs (15.-18.1.2018)

Es ist schwer zu beschreiben, was ich fühle, wenn ich diesen letzten Blog-Eintrag beginne. Einerseits ein fröhliches Staunen, das mich auch noch heute mit Freudentränen dasitzen lässt: es ist so überwältigend schön, dass „wir“, nein, vor allem: dass ER, Samuel, nun schon so weit ist, dass das Blog-Schreiben nicht mehr zum Begleiter seines weiteren Weges gehören muss, weil er selbstständig alles behält, was er nun erlebt. Ja, es ist nach wie vor der Wahnsinn! Ein Wunder vor unseren Augen, dass nach unserer Überzeugung niemand anders gewirkt hat als Gott. Der Hammer! So großartig. Und natürlich ziehen vor meinem geistigen Auge (und vor meinem „emotionalen Auge“ – gibt es so was?) die vielen leidvollen Momente voller Zittern und Bangen, voller Angst und lähmender Traurigkeit aus den ersten Tagen und Wochen nach dem Unfall vorbei – und wenn ich anfange, mich da hineinzudenken, zu fühlen, zu erinnern… dann wird das Staunen über das Hier und Jetzt immer größer, die Freudentränen immer dicker, das Jubeln immer lauter…
Und auf der anderen Seite hab ich mich ja schon fast an diese Art der „Gegenwartsverarbeitung“ gewöhnt. Und wie so vieles, an das man sich gewöhnt hat, fällt es gar nicht so leicht, das zu lassen. Aber das ist ja – wie gesagt – nicht die Hauptintention dieses Blogs. Ich könnte einen neuen Blog anfangen, in dem ich beschreibe, wie ich damit fertig werde, keinen Blog mehr zu schreiben. Ach was, Blödsinn! 🙂 ICH FREUE MICH ÜBER DEN GRUND, WESHALB DIESER BLOG EIN ENDE FINDET!
Aber bevor ich sage/ schreibe: ENDE! will ich noch ein paar Tage beschreiben – ein paar Tage, die es in sich haben…
Der Montag ist ein besonderer Tag für Samuel! Aufgrund eines angesetzten Arzttermins in Winsen ist Samuel über Nacht zu  Hause und wird an diesem Montag zum ersten Mal nach über 3 Monaten wieder in seine Schule, in seine Klasse, fahren. Das war natürlich ein vorbereiteter Besuch – und für Samuel eine hammerstarke Erfahrung! Es gab einen Stuhlkreis, in dem die Mitschülerinnen und Mitschüler ihre Fragen an Samuel stellen konnten und es Raum zum Erzählen gab. Es gab Gelegenheit zum gemeinsamen Fußball-Spielen in der Pause – und es gab noch eine besondere Überraschung: die Lehrer hatten sich im Namen Samuels an den BVB, Samuels Herzensverein, gewendet (gewandt? Ich bin da gerade sprachlich nicht ganz parkettsicher…), und es gab einen Brief vom BVB und von sämtlichen (!) Spielern und Trainern eine Autogrammkarte – dies alles wurde Samuel überreicht und er war stolz wie Oskar! Ja, das war ein schönes Wiedersehen – auch wenn es in gewisser Weise etwas von Abschied hatte, was zu diesem Zeitpunkt zumindest die Schüler so noch nicht ahnen konnten… Denn die Zurückstufung in Klasse 5 wird höchstwahrscheinlich schon nach den Osterferien erfolgen und somit wird Samuel auch nicht mehr wirklich Unterricht in seiner bisherigen Klasse mitmachen. Aber so oder so war dieser Besuch ein denkwürdiger Moment und er wird diese Minuten sicher in seiner Seele eingraviert haben.
Nach dem Unterrichtsbesuch ging es dann also zum Augenarzt. Dort war man sehr zufrieden mit Samuels Entwicklung – die Doppelbilder sind weitestgehend verschwunden und es ist wieder ein normales Sichtbild vorhanden. Also auch bei den Augen keinerlei Einschränkungen. Allerdings… – es wurde festgestellt, dass das linke Auge in letzter Zeit wohl etwas zu wenig gefordert wurde und deshalb bekommt Samuel für die kommende Zeit eine ganz besonders schöne „Therapie“ verordnet: er darf nun täglich eine halbe Stunde therapieverordnet Fernsehen gucken – auf die Weise, dass er das rechte Auge mit einer Art Augenklappe zuhält und eben dann nur mit links schaut. Das geht so einige Wochen und dann wird nachkontrolliert. Aber auch hier sind wir froh, wie positiv sich alles entwickelt hat!
Nach dem Augenarzt-Besuch darf der Nachmittag noch zu Hause verbracht werden und zum Abend gibt es noch ein gemeinsames ausgiebiges Abendbrot, bevor er von Mama und Elisabeth zurück nach Geesthacht gebracht wird.

Der Dienstag ist ohne weitere Vorkommnisse gewesen. Ein ganz normaler Tag, aber naja: „nur noch zwei mal schlafen“ bis zum Geburtstag! Die Aufregung steigt natürlich – und wie immer werden kurz vorher noch mal an die 20 Wünsche rausgehauen, was denn alles ein tolles Geschenk wäre… naja, wünschen darf man sich ja immer alles, ist unsere Devise…
Die Visite an diesem Tag erbringt auch keine neuen Erkenntnisse, außer das GO für ein langes Wochenende nach seinem Geburtstag: wir dürfen Samuel also Freitag mittag nach Hause holen und am Samstag Vormittag dann „ganz normal“ Geburtstag in der Familie feiern – und erst am Sonntag Abend muss er dann wieder zurück.

Am Mittwoch zeigt sich, dass wir einfach in einer schwierigen Phase stecken… mit vielen Kindern durch den Winter ist immer wieder eine Herausforderung – und jetzt noch mal mehr… Elisabeth hat sich mal wieder was eingefangen und muss zum Arzt, Charlotte hängt auch ziemlich durch… und der Geburtstag rückt näher – und natürlich das Vorhaben, nach Geesthacht zu fahren und es dort mit allen schön zu haben! Derweil hat Samuel am Vormittag Vollprogramm und aufgrund der Geburtstagsvorbereitungen einerseits und meiner Arbeit andererseits ist es irgendwie nicht möglich, ihn an diesem Tag zu besuchen. Blöde, am Tag vor dem Geburtstag. Aber es geht halt auch nicht immer alles…
Parallel zu Geburtstagsvorbereitungen geht es schon wieder um Anträge, Papierkram, Telefonie… Die Schulbegleitung (ab April) muss langsam angebahnt werden, dafür ist Schule, Gesundheitsamt und ein entsprechender Träger zu involvieren… Dann meldet sich auch immer mal die Krankenkasse… es geht dann um evtl. Erstattung von seiten der Versicherung des Autofahrers… also: es wird nicht langweilig. Und die anderen drei Kinder sind ja auch in ihrem „Turn“ drin, der Baby-, Kita- und Schulalltag hat eben ganz eigene Herausforderungen – von gesundheitlichen „Zwischenfällen“ ganz zu schweigen…
Am Abend entschließe ich mich kurzerhand, doch noch bei unserem fast 12jährigen vorbei zu fahren. Es ist zwar dann doch auch schon fast 21h, als ich bei ihm aufschlage, so dass es nicht mehr ein wirklich langer Besuch wird. Aber ich wollte ihm unter anderem auch sein Handy vorbeibringen. Vorher  noch das Klinik-interne WLAN eingeschaltet (das ist für Samuel doch noch etwas zu kompliziert) und so können wir sichergehen, dass er auch schon vor unserem Besuch am Donnerstag Nachmittag Glückwünsche (zumindest via whatsapp) bekommen kann. (dass er dann aber abends noch einen langen WA-Sprachanruf tätigt, so dass sein Akku alle ist und er eben doch keine Glückwünsche empfängt, bevor wir da sind, bekommen wir erst am Donnerstag nachmittag mit).
Samuel ist voller Vorfreude und Aufregung – spätes Einschlafen und sehr frühes Aufwachen sind die Folge. Ich verabschiede mich also an diesem Abend endgültig von meinem 11jährigen Sohn – und wieder mal denke ich: wie gut, dass ich mich am Abend des 17.1. endgültig von meinem 11jährigen Sohn verabschieden kann, WEIL ER AM NÄCHSTEN TAG 12 wird – und nicht schon ein endgültiger Abschied im Herbst 2017 geschah, dem kein Geburtstag mehr hätte folgen können…
Samuels Nachtgebet lautet heute: „Danke, Gott, dass ich morgen Geburtstag habe. Ohne dich hätte ich diesen Tag nicht erleben können! Amen“
Mehr muss ich auch nicht dazu sagen!

Nun also der 18.1.2018 – Samuels 12. Geburtstag! Manche Kinder, manche Familien kennen diese Situation auch schon aus anderen Zusammenhängen…: wenn das Kind während einer Klassenfahrt oder einer Kurzreise Geburtstag hat, kann man auch nicht dabei sein – und muss nachfeiern. Aber für uns ist es nun doch das erste Mal… und es fühlt sich komisch an, in diesen Tag zu starten, ohne ihn an den geschmückten und gedeckten Geburtstags-Geschenke-Kuchen-Kerzen-Tisch zu führen und seine leuchtenden Augen zu sehen. So stehen Katharina und ich wie immer an Schultagen um 6.20h auf, bereiten uns auf ihren Schultag vor und schicken Samuel eine Sprachnachricht, in der wir „aufs Heftigste gratulieren“ – nicht wissend, dass das Akku leer ist und er diese Nachricht gar nicht wird erhalten können…
Wir beten noch zu Gott und danken ihm für diesen besonderen Tag und bitten ihn, dass er Samuel einen schönen Vormittag schenken wird. – Katharina düst zur Schule und ich nach Hamburg, wo ich heute am frühen Nachmittag Schluss mache, weil ich eigentlich von dort direkt nach Geesthacht fahren will. Auf dem Rückweg (es herrscht Schneeregen) meldet sich plötzlich mitten auf der Autobahn mein Scheibenwischer ab. Nix mehr. Hohe Geschwindigkeit, Schneeregen – und kein Scheibenwischer. Na, Mahlzeit! Also Planänderung: ich tuckere fortan mit 40 km/h und Warnblinker bis zur nächsten Ausfahrt und von dort über Land nach Hause, wo ich dann den Wagen stehen lasse. Katharina hat lange Schule heute und Samuels Patentante fährt über Winsen nach Geesthacht, wo sie dann nicht nur Katharina einsammelt, sondern mich eben auch noch (Yvonne ist derweil schon zu Samuel gefahren).
Auf der Station gibt es einen Aufenthalts- und Spieleraum, der liebevoll dekoriert wird. Samuel hat 6 Kinder von Station eingeladen, mit ihm zu feiern. Yvonne hat sich Spiele ausgedacht, kleine Geschenktütchen für jedes der Kinder gepackt, Kuchen gebacken, natürlich Geschenke für Samuel mitgenommen und und und…
Als wir alle da sind und die Party so gegen 16h los gehen soll, merken wir schon, dass es dem Geburtstagskind nicht besonders gut geht. Samuel klagt schon den ganzen Tag wieder über Kopfschmerzen und nun, am Kuchenbuffet, kommt auch noch Übelkeit hinzu. Dann die Kinder von der Station, die auch nicht unbedingt die leisesten Gäste sind und sich mit „Herumsitzen“ ohnehin schwer tun… Nach einer halben Stunde, nach Auspacken der Geschenke (u.a. ein Gutschein für einen gemeinsamen Stadionbesuch in Dortmund) zieht Samuel sich zurück… Erst muss er sich kräftig übergeben und dann möchte er nur noch schlafen. Die restliche Geburtstagsgesellschaft ist überdreht und irgendwie auch nicht mehr wirklich zu halten. Und wir sind irgendwie auch mit der Situation überfordert. Gegen halb sechs lösen wir das Ganze auf und gehen zu Samuel ins Zimmer. Er hat sich mittlerweile etwas erholt und hört sich nun ganz interessiert die drölfzig Gratulationen via Handy an (mittlerweile ist das Ding wieder geladen). Zwischendurch hat er Lust auf Kakao – und spuckt anschließend wieder… Gegen 19h sagen wir ihm gute Nacht und fahren nach Hause mit der Aussicht, ihn morgen mittag ja schon wieder abzuholen, damit er für ein langes Wochenende bleiben kann. Wir besprechen die Situation noch kurz mit der Ärztin, die meint, es könne Migräne sein und es könne eben sein, dass Samuel damit nun immer mal wieder zu tun hat… Aber es sei nix Besorgniserregendes. Und die Mische aus Kopfweh und Übelkeit und dann Schoki/Kakao/Kuchen sei nun mal auch nicht sehr förderlich… Wissen wir… 😉
Er schläft trotz seiner „Unpässlichkeit“ doch einigermaßen happy ein und blickt schon voller Vorfreude voraus auf das Wochenende! Ein Wochenende mit Besuch von Leon, den er im Sommer bei seinem Wespenstich-Krankenhaus-Aufenthalt in Lüneburg kennenlernen konnte und mit dem er nun ein „ziemlich-beste-Freunde-Duo“ bildet. Am Samstag ist eine Kegeltour mit Freunden geplant (ja, das geht wieder! Und er liebt kegeln!) und am Sonntag kommen dann Großeltern und Tanten und Cousinen…

Das war also Samuels Geburtstag – und das war: dieser Blog! Nach 3 Monaten und 23 Tagen findet er sein Ende, weil Samuel nun seine Geschichte selbst behält und zum Teil auch dokumentiert: in seinem „Logbuch“, wo er täglich aufschreibt, was er erlebt, was ihn freut, was ihn ärgert usw.
Ich selbst habe durch diesen Blog vieles vermocht: ich konnte meine Gedanken ordnen, konnte Gefühltes und Erlebtes niederschreiben – so bruchstückhaft, fehlerhaft, einseitig-subjektiv, wie es nun mal ist, wenn einer von etwas berichtet, was viele betrifft. Aber es war eben meine Sichtweise – und ich danke euch, die ihr mitgelesen habt, mitkommentiert, nachgefragt – und hier und da eben auch aufgrund des Blogs etwas konkreter im Gebet vor Gott geworden seid; sowohl im Danken als auch im Bitten.
ja, in gewisser Weise hat mir der Umstand dieses Blog-Schreibens auch noch mal viele von euch näher gebracht und mir gezeigt, wo Verbundenheiten sind – zu mir, zu unserem Sohn, zu uns als Familie; Verbundenheiten, die ich teilweise vorher gar nicht so stark eingeschätzt hätte.
dafür DANKE!!!

Wobei ich gerade merke (sowas nennt man wohl „think in progress“ oder so…), dass ich es doch noch nicht mit diesem Blog-Eintrag bewenden lassen will!
Mir selbst fehlt noch ein Ausblick: wo stehen wir jetzt, wo steht Samuel jetzt (auch was die Entwicklung seiner Genesung betrifft und die momentanen Prognosen) – und wie gehen wir in die nächste Zeit?
Während ich diese Zeilen schreibe, ist bereits der 23.1.2018, es hat sich seit dem Geburtstag auch schon wieder das eine oder andere ereignet, was in den Bereich „Ausblick und Prognosen“ gehört…
Ich denke, ich schreibe diesen Beitrag in den nächsten Tagen und runde damit den Blog ab. Oder doch zumindest „vorerst“, denn wenn weitere „Meilensteine“ bzw. große Entwicklungsschritte folgen, kommt vielleicht doch noch ein Beitrag…

Auf jeden Fall kann ich, können wir sagen, dass SAMUELS WEG ZURÜCK in ein Leben, das wir mit voller Überzeugung als sein Leben bezeichnen können; als ein Leben, wo wir sagen „so soll es sein, so kann es bleiben“ – dass dieser Weg zurück nun wirklich schon „beinahe fast ganz“ geschafft ist! Wir erleben unseren Sohn MIT seinen Stärken, MIT seinem Charakter, MIT dem, was er kann und was ihn freut, genauso wie MIT dem, was ihn frustet, ärgert und ihn sauer macht… kurzum: es ist ein Weg zurück in SEIN LEBEN geworden – mit Gottes Hilfe, aus seiner Gnade und unter seinem Segen!

Eine Antwort auf „Samuels 12. Geburtstag – und das Ende dieses Blogs (15.-18.1.2018)“

  1. Danke Willem, für den Blick in euer Familienleben. Da geht es mir wie vielen: das Lesen macht Spaß. Aber du schreibst ja nicht damit wir stalken können… Ich wünsche euch und vor allem Samuel weiter Gottes Segen und so eine spürbare Nähe wie die letzten 12 Jahre. Und das vor allem, wenn es in die neue Klasse geht. Und euch ab da EUER Alltag wieder hat.

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