Benefizlesung am Nikolaustag (6.12.) in Hoopte – Presseinfo und Plakat

Benefizveranstaltung zum Nikolaustag

Der 27. September 2017 wird der Familie von Samuel Heins, 11 Jahre alt, in Erinnerung bleiben. Samuel wurde an diesem Tag bei einem Verkehrsunfall in Winsen/ Luhe schwer verletzt und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Ein großer Schock für die Eltern, Geschwister und Angehörige. Mittlerweile ist er außer Lebensgefahr und der Heilungsprozess verläuft bisher positiv. Zurzeit ist Samuel in einer Reha-Klinik. So wie ihnen geht es auch anderen Familien von Unfallopfern und nicht immer hat man das Glück, zu überleben und ein Leben ohne Beeinträchtigungen und Einschränkungen weiterzuführen. Laut Statistik überleben 40 Prozent ein schweres SHT gar nicht, weitere 40 Prozent nur mit bleibenden Beeinträchtigungen und nur 20 Prozent genesen nahezu vollständig.

Es gibt zahlreiche Hilfsorganisationen, die Kindern und ihren Angehörigen helfen und vielfältige Unterstützung in solchen schweren Zeiten geben. Eine davon ist die Ronald Mc Donald Kinderhilfe in Hamburg. Dort können Familien von schwer kranken Kindern vorübergehend wohnen, um in der Nähe des Krankenhauses (UKE Eppendorf) und damit bei ihrem Kind zu sein. Im Ronald Mc Donald Haus bekommen Angehörige auch nach Bedarf soziale, psychologische und emotionale Hilfe von angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Mit der Benefizveranstaltung zum Nikolaustag, am 6. Dezember 2017 um 19:00 Uhr im Hofcafé Löscher, Hoopter Elbdeich 77 in 21423 Winsen möchten Kinder und Erwachsene ein Zeichen der Solidarität, der Anteilnahme und des Zusammenhalts setzen und den Eintritt in Höhe von 6,00 Euro Samuel Heins und anderen von SHT betroffenen Kindern zukommen lassen. 10% der Einnahmen an dem Abend gehen an die Ronald Mc Donald Stiftung.

Die teilnehmenden großen und kleinen Leser freuen sich auf zahlreiche Besucher. Spenden sind herzlich willkommen.

Der Familie Löscher-Bardowicks, Inhaber des Hofcafé Löscher, danken wir herzlich, dass die Benefizlesung dort stattfinden darf.

 

wieder zu zweit im Zimmer – und die Tage davor (14.-16.11.2017)

An diesem Dienstag wird Samuel morgens von seiner Patentante besucht, was uns als Eltern mal wieder ein wenig Gelegenheit gibt, zumindest ein paar ruhigere Minuten zu zweit zu haben. Nach einem gemeinsamen Frühstück machen wir uns dann zusammen auf den Weg in Samuels Schule: am Montag nach den Herbstferien – das ist nun auch schon vier Wochen her – war ich zuletzt dort. Der „Erstbesuch“ Mitte Oktober war emotional viel schwerer, da Samuels Situation in den Tagen noch viel unklarer war als mittlerweile. Nun können wir den Mitschülern sagen, dass Samuel schon dabei ist, das Laufen wieder zu lernen, dass er wieder spricht und eigentlich „fast alles“ bis auf das Kurzzeitgedächtnis schon wieder beinahe im ursprünglichen Zustand ist. Die Erleichterung darüber war in den Gesichtern abzulesen. Natürlich: auch jetzt können wir noch keine Prognosen abgeben, wann Samuel wieder entlassen wird – aber die Mitschüler spüren, dass es eine gute Perspektive gibt!
Nach diesem Besuch in der Klasse haben wir noch einige Minuten mit den Klassenlehrern – und auch hier ist es ein „Grundton der Erleichterung“, der das Gespräch bestimmt. Und die klare Aussage, dass einer Rückführung in die bisherige Klasse von Seiten der Schule nichts im Wege steht. – Wir sind weiter gespannt, hoffen und beten, dass es auch „von Samuels Seite her“ gut möglich sein wird, wieder in seiner bisherigen Klasse anzudocken…
Ende April 2018 steht eine Klassenfahrt an – und wir wollen fröhlich und hoffnungsvoll davon ausgehen, dass Samuel auch dabei sein wird. Deshalb wird Yvonne auch am Elternabend am heutigen Dienstag teilnehmen, wo es um diese Fahrt gehen wird. Und wir denken wieder mal: wie schön ist es und wie dankbar sind wir, dass wir solche Termine wahrnehmen dürfen – auch wenn Elternabende nicht zwingend zu den „erlabendsten“ Erlebnissen gehört, die Mann und Frau sich so vorstellen können. Aber alleine die Tatsache, DASS ist ein Geschenk! 🙂
Nach diesem Besuch in der Schule fahre ich nach Geesthacht, da ich nachmittags und abends noch Termine in Fuhlsbüttel wahrnehme. Die „Übergangszeit“ zwischen dem Vormittagsbesuch und meiner Anwesenheit nutzt Samuel, um „auszubüxen“… er düst unbemerkt von allen mit dem Rolli von Station weg und macht sich auf den Klinikfluren auf die Suche nach Papa, da er ja weiß, dass ich kommen will… – Das sorgt für ein „nicht so gutes Bauchgefühl“… diese Ahnung, dass er zwar sehr mobil ist, aber mental einfach noch nicht so weit, um Gefahren abzuschätzen… wir müssen ihn einfach nach wie vor stark im Auge behalten und deutlich absprechen, wann wer auf ihn acht gibt. Nicht mehr lange… hoffentlich… aber aktuell eben doch noch…
„Erschwerend hinzu“ kommt an diesem Tag, dass Samuel für ein Schlaf-EEG ein Schlafmittel bekommen hatte, das am Anfang noch nicht so anschlug… also mehr davon… tja… und jetzt ist er zusätzlich noch „durch den Wind“, hat leichte Halluzinationen usw…
Der Logopäde gibt uns an diesem Tag noch mal die Rückmeldung, dass er das mit dem „nicht vorhandenen Kurzzeitgedächtnis“ bei Samuel für sehr bedenklich hält… – Er hatte schon öfter Bedenken und schon öfter hat Samuel ein paar Tage später gezeigt, dass das alles unbegründet war. Darauf hoffen wir auch diesmal… Der Logopäde macht halt immer wieder den „Wochentags-Kurztest“ mit Samuel: „Welcher Wochentag ist heute?“ (Dienstag!) – Samuel antwortet: MONTAG. Dann wird er korrigiert. Wenn er dann eine Stunde später wieder gefragt wird, ist die Antwort wieder MONTAG. … Daran kann man viel festmachen… muss man aber nicht… ich denke mir so: Wenn ich in einer Klinik wäre, wo jeder Tag gefühlt gleich abläuft, wenn ich unter dem Einfluss von Schlafmitteln UND Clonidin wäre… dann würde ich auch die Wochentage durcheinander kriegen, ganz egal, ob ich ein Schädel-Hirn-Trauma hatte oder nicht… Naja, wie gesagt: ich bin eigentlich guten Mutes, dass sich das mit der Zeit gibt. Gleichzeitig ist es ja auch gut, dass es diese Rückmeldungen gibt und einfach Leute da sind, die für die (ausbleibenden) Entwicklungsschritte sensibilisiert sind und sich kleine Kniffe überlegen, um ihn zu fördern…
An diesem Tag bekommt unsere große Tochter ein Paket mit „kleinen Freuden“ für zwischendrin. Das ist toll! Denn so schön es ist, dass Samuel so viel Aufmerksamkeit und Aufmunterung bekommt: es ist gut, dass manche eben auch sie im Blick haben, die mit ihren jetzt bald 13 Jahren auch irgendwie sowieso schon „zwischen Baum und Borke“ ist… Wir möchten ja alle 4 Kinder im Blick haben – und Elisabeth ist gut versorgt, weil sie Mama hat, Charlotte hat ihre Kita und auch meistens viel Zeit mit einem von uns oder eben auch dem Nachbarsjungen, mit dem sie gerne spielt… Katharina hat da „ganz andere Ansprüche“, die wir oftmals in dieser Phase nicht so leicht bedienen können. Von daher: wie gut, dass manch andere das durch solche Gesten auch im Blick haben!!!
Ich bin, wie gesagt, an diesem Tag noch in Fuhlsbüttel, in meiner Gemeinde. Eigentlich noch bis Ende November freigestellt, will und kann ich heute bei zwei Terminen dabei sein: zunächst ist ein „Laterne-Laufen“ der Kita, wo ich für die „Start-Andacht“ mit verantwortlich bin. Das ist auch so rührend: mir werden ganz viele selbstgemalte Bilder der Kinder FÜR SAMUEL überreicht, eine Schachtel voll mit selbstgebackenen Keksen in Engelform und ein kleiner Holz-Engel, der für Samuel sein soll. Das ist wirklich schön. Und ich konnte den Kindern von dem Martin von Tours erzählen, der für andere ein Licht gewesen ist – und habe ihnen erzählt, dass ihre lieben Gedanken und Gebete für Samuel auch ein Licht gewesen sind… ich erzählte vom „Lichtbogen“, den Yvonne ganz am Anfang der Zeit auf der Intensivstation über Samuels Bett empfunden hat – wie ein Licht aus Gebeten für Samuel. Und ich habe den Kindern erzählt, dass ich fest davon überzeugt bin, dass ihre Gebete und guten Gedanken Teil dieses „Lichtbogens“ waren und eben auch Anteil der Genesung sind.
Nach einigen guten Gesprächen mit vielen Eltern der Kita ging es dann noch zur Jahresplanung 2018. Ein wichtiger Termin… und gleichzeitig noch so ungewiss… Ich habe im Januar/Februar „Teilzeit-Monate“, weil ich noch „Elternzeit-Plus“-Anteile für die Geburt von Elisabeth nehmen kann… und erst danach denke ich, wird Samuel wieder zu  Hause sein. D.h. auch für meine Jahresplanung, dass ich zumindest das erste Quartal nur mit angezogener Handbremse angehen kann. Aber ich versuche, zu planen und Ideen einzubringen. Dass man etwas nicht machen kann oder dann doch wieder streichen muss… diese Möglichkeit steht natürlich auch im Raum…

Der Mittwoch ist der letzte „Clonidin-Tag“. Wie schön! Endlich ist die lange Zeit (über 7 Wochen) der Medikation vorüber. Es dauert nun auch noch ein bisschen (ca. 1-2 Wochen), bis die Medikamente komplett aus dem Körper raus sind. Mein Gefühl ist aber: Wenn die Zeit vorüber ist, wird Samuel noch mal ganz andere Möglichkeiten haben, wieder „anzugreifen“ und sich in seine Welt zurück zu kämpfen!
An diesem Tag fahre ich wieder nachmittags zu ihm… vormittags hab ich dann noch das Vergnügen, die Post zu sichten. Positiv bzw. mega-erfreulich: Post für Samuel aus Schweden! Eines meiner „groß gewordenen Patenkinder“ ist gerade für ein Jahr in Schweden und hat Samuel einfach mal eine Karte geschrieben und ein „schwedisches Leckerli“ mit rein gelegt. Das war wirklich klasse!
Nicht so erfreulich bzw. „schwer schockierend“ war an diesem Tag Post der Krankenkasse: „Ihr Antrag auf Verdienstausfall für November wurde abgelehnt“ steht da. WTF!?!?!!! Über 2000,- € weniger Gehalt für November, da ich ja nun offiziell unbezahlten Urlaub nehme?!?… Au weia! Aber ein Anruf bei der Krankenkasse klärt sofort auf: ein wichtiges Dokument, um meinen Antrag zu bewilligen, war noch nicht eingetroffen, deshalb wurde das Ganze abgelehnt. Dieses Dokument ist mittlerweile da – und von daher steht der Genehmigung nix mehr im Wege. Puh… 2000,- € wären eine Menge Holz gewesen. Gott sei Dank!
Als ich bei Samuel bin, wird deutlich, dass er die „Schlupfwindel“ – eine Art Windel in Unterhosen-Form – mega peinlich findet und nicht mehr möchte. Das ist klasse! Denn das zeigt ja auch, dass er dabei ist, das nötige Körpergefühl wieder zu erlangen und auch, dass er in der Lage ist, seine momentane Situation immer stärker zu erfassen und zu reflektieren. Und so freue ich mich über seinen Protest. Das fand er vielleicht komisch – aber irgendwann wird er mich da verstehen!
Wir haben an diesem Nachmittag relativ ausgiebig „Stadt-Land-Fluss“ gespielt – etwas, das ihn ja auch in guter Weise herausfordert. Beim Buchstaben D fiel ihm kein Fluss ein, dafür kam der Beruf aber wie aus der Pistole geschossen: DIAKON!
Yay! 😉
Am Abend erreicht mich noch die Nachricht, dass die Pressetexte und die Plakate für die Benefiz-Lesung am 6.12. fertig sind. Eine wirklich tolle Aktion – ich bin mega dankbar und begeistert von den Menschen, die sich dafür einsetzen. Möge viel zusammen kommen, damit Samuel und anderen Kindern mit SHT geholfen werden kann (ich stelle nachher noch einen Blogtext mit dem Pressetext und einem Plakat hier rein)

An diesem Donnerstag müssen wir morgens zur Polizeiwache, unter anderem, um die Klamotten von Samuel wieder ausgehändigt zu bekommen, die er am Unfalltag trug. Dazu auch sein Fahrradhelm. Die Klamotten wurden am Unfallort aufgetrennt… – und sein Fahrradhelm war, bis auf einen kleinen Kratzer, unversehrt. Es war einerseits merkwürdig, dort auf der Wache zu sein – und andererseits haben wir auch gedacht: „wie gut, diesen Termin unter diesen Umständen wahrnehmen zu können“… Hätten wir seine Sachen von der Wache holen müssen in dem Bewusstsein, dass Samuel tot ist und wir ihn fortan nur auf dem Friedhof werden „sehen“ können… nicht auszudenken! Wir sind auch hier FROH UND DANKBAR!
Nachmittags sind wir zum ersten Mal zusammen mit Samuel im „Café Sonnenschein“ in der Helios-Klinik – und er genießt es sichtlich, sein erstes Eis seit so vielen Wochen zu essen. Na klar: Schokolade. 3 Kugeln. Es sei dir gegönnt, mein Sohn!
Nach einer Woche „Einzelzimmer-Dasein“ ist dieser Status nun wieder beendet… – ein 13jähriger Junge ist nun mit auf seinem Zimmer, der schon im UKE auf der Intensivstation Bettnachbar gewesen ist… allerdings haben beide in der damaligen Situation nichts voneinander mitbekommen, da beide tief sediert waren. Theo hat ebenfalls eine Kopfverletzung bzw. eine Hirnblutung gehabt, die allerdings nicht durch einen Unfall verursacht wurde. Theo war nur 9 Tage nach Samuel eingeliefert worden, blieb aber bis jetzt im UKE. Nichtsdestotrotz hat sich sein Zustand auch schon „mächtig/prächtig stabilisiert“, so dass sich beide jetzt miteinander auf den Weg der Genesung machen können und hoffentlich auch gegenseitig „anstacheln und anfeuern“, Stück für Stück wieder an das bisherige Leben anknüpfen zu können!
Vor uns liegt das letzte Wochenende auf dieser Station IMC, bevor es dann am Montag auf die „Station A“ (eine „normale Kinderstation“) geht…
In den letzten Tagen kommt von Samuel übrigens täglich die Frage danach, wann er denn wieder nach Hause kann. Das sind schwierige Momente. Aber gut ist es, dass ab jetzt (bzw. ab kommender Woche) auch wieder vermehrt Besuche von Freunden usw. möglich sind… was ihm hoffentlich auch ein Gefühl von Zuhause vermittelt. Und ich habe ihm gesagt, dass er einfach super gut bei allen Therapien mitmachen muss – umso schneller ist der Weg nach Hause möglich…

Der Schalk im Nacken ist zurück (11.11.-13.11.2017)

An diesem Samstag kommt es zum ersten Mal (nach nun ja schon fast 7 Wochen) zu einer „live-Begegnung“ mit einem Freund: Samuel bekommt Besuch von Leon!
Die beiden kennen sich noch gar nicht so lange. Es ist eine der „Zufallsbekanntschaften“, die in eine echte Freundschaft münden… Im August hatte Samuel einen Krankenhaus-Aufenthalt in Lüneburg (Wespengift-Allergie) – und machte dort Bekanntschaft mit seinem Bettnachbarn: eben Leon! Die beiden wohnen leider nicht wirklich dicht beieinander, aber das tut der Freundschaft keinen Abbruch (Whatsapp sei Dank!) – und auch in der Zeit der Krankheit hatte Leon viel an Samuel gedacht, immer eine Kerze für ihn angezündet und sich mega gefreut, als der Besuch nun anstand. Und beide waren voneinander begeistert, waren beglückt, sich wiederzusehen: mit dem Rolli über die Flure düsen, zwischendurch „Fang den Ball“ oder andere Dinge spielen, Quatschen und Quatsch machen… all das klappt an diesem Tag wunderbar – und auch ein gemeinsamer ausgiebiger Spaziergang bei gutem Wetter ist möglich.
Zwischendrin schauen auch noch Samuels Schwestern rein – die Wochenenden eignen sich für diese Besuche einfach am besten. Beide können feststellen, dass in der Woche seit dem letzten Besuch einfach auch eine Menge positiver Entwicklung passiert ist. Das erleichtert vor allem Charlotte (3J.) das Wiedersehen. Katharina wird das Wiedersehen eher „erschwert“, denn – wie sie sagt: „er hat schon wieder versucht, mich zu ärgern“. Wunderbar! Der Schalk im Nacken ist zurück – und ich hab schon vor ein paar Wochen gedacht: wenn sich die beiden wieder so richtig „amtlich zoffen“, bin ich total happy, denn dann weiß ich: alles ist wieder im Lot! – Bis dahin wird es noch ein bisschen dauern, aber es ist Woche für Woche ersichtlicher, dass es dazu kommen wird 🙂
Nach so viel Besuch ist Samuel an diesem Nachmittag aber wirklich auch total platt! Und so komme ich in den Genuss, einen ruhigen, gechillten Samuel zu erleben… wir kuscheln ausgiebig, quatschen ein bisschen, schauen KiKa und irgendwie fliegen die Stunden dann dahin.
Es ist für mich (wenn ich bei ihm bin, aber eben auch, wenn ich es aufschreiben möchte) deutlich, dass er zwar immer noch und immer noch gute Fortschritte macht, dass diese ab jetzt aber nicht mehr wirklich täglich deutlich hervortreten, denn er ist einfach schon auf einem sehr hohen Level! Dennoch: das „chaotische Kinderzimmer“ (als Bildwort für seinen „unsortierten Kopf“) sortiert sich immer weiter, Phantasiegeschichten oder unpassende Antworten werden immer weniger.
Kurz vor dem Abendbrot zeige ich ihm noch ein paar Fotos von ihm aus der Zeit nach dem Unfall (Intensiv-Station) – er fragt viel (und hat es doch wahrscheinlich morgen schon wieder vergessen) und es ist bei ihm eine Mischung aus „geschockt sein“ und „es nicht wirklich glauben können“ vorhanden. Seiner Hauptüberzeugung nach ist er auch vor allem deswegen im Krankenhaus, weil sein Bein gebrochen ist. Das ist ja auch nicht falsch und reicht für diesen Moment auch an „Erkenntnis über das Geschehen“ vollkommen aus.
Insgesamt macht es Spaß, so viele Gespräche mit ihm zu führen, Vergangenes hervorzuholen und auch das Aktuelle nach und nach einzusortieren. Die „Klaviatur seines Lebens“ wird wieder immer „tonvoller“, immer reicher: an Gefühlen, Gedanken, Äußerungen, Mimik und Gestik. „Willkommen zurück in unserer Welt“, denke ich jeden Tag wieder – und jeden Tag ein bisschen mehr!
Am Abend futtert Samuel wie ein Weltmeister und verschlingt diverse Brote, Obst, Schoki, Kekse… es muss ja nach der langen Schonkost durch den Schlauch auch einfach wieder ein bisschen Masse aufgeholt werden!

Auch der Sonntag ist ein „Besuchstag“: viel Verwandtschaft ist da. Und einen weiteren „Besuch“ (der etwas anderen Art) bekommt er dann nachmittags mit mir auch noch: ich bringe ihm sein Handy mit, auf dem unzählige WhatsApps in den vergangenen Wochen eingegangen sind. Es macht ihm noch Mühe, das alles selbst zu lesen (ist halt auch echt ne kleine Schrift und erfordert viel Konzentration), aber er lässt es sich begeistert vorlesen, freut sich über die Bilder und Sprachnachrichten. Aber ich nehme das Handy (NOCH) jeden Tag wieder mit nach Hause. Besser is das…
Wir bekommen das OKAY auf die Frage, ob denn ab jetzt auch wieder kleine Ausflüge (z.B. mit dem Auto) erlaubt sind… so kann ich ihm in den nächsten Tagen mal Geesthacht zeigen oder wir schauen uns den Sonnenuntergang über der Elbe an oder wie auch immer. Das ist toll. Er mag Auto-fahren und das gibt ihm ja auch einfach noch mal neue Möglichkeiten, seinen „Horizont“ zu erweitern.
An diesem Tag gibt es noch eine kurze Begegnung mit der Ärztin der neuen Station, die auch noch mal erklärt, dass es gut ist, dass Samuel noch eine Woche „unter der Obhut“ der Möglichkeiten auf der IMC-Station bleibt. Noch ist er ja noch nicht ganz „bewegungs-sattelfest“, was das Laufen angeht – und dann kann es z.B. nachts zu schwierigen oder gar gefährlichen Situationen kommen, wenn er alleine ist und auf Toilette möchte und dabei vielleicht stürzt… Hier auf der IMC bekommen die Pflegekräfte so etwas umgehend mit, auf der neuen Station wäre das eher nicht so. Wir können warten, haben eine ganze Menge Geduld gelernt und wünschen unserem Sohn einfach, dass er „step by step“ die Dinge bekommt, die ihn in der richtigen Weise fördern, aber nicht überfordern. Und da haben wir hier einfach insgesamt ein gutes Gefühl.

An diesem Montag übernehme ich mal eine „lange Schicht“; nachdem meine Frau in den letzten Tagen sehr wenig Zeit in Winsen hatte, ist es jetzt auch mal wieder dran. Aber: auch wenn ich von 12-18.30h bei Samuel bin, so hat er insgesamt 2,5h Anwendungen und Therapien, zwischendrin auch mal nur ne Viertelstunde Pause… so dass ich „gefühlt“ auch nicht wirklich viel mehr Zeit mit ihm verbringen kann als sonst.
Die Stationsärztin, die eine Woche Urlaub hatte, sieht ihn heute wieder und kann gar nicht richtig glauben, was/wen sie da vor sich hat. So viele Fortschritte in nur einer Woche: unbelievable!
Der Logopäde sagt mir, dass es manchmal schwierig ist, rauszufinden, ob Samuel „tüdelt“, oder ob er bewusst irgendnen Quatsch erzählt, um jemanden auf den Arm zu nehmen… Wie ich schon schrieb: der Schalk im Nacken ist zurück – und es ist gut, auch diese Wesenszüge bei Samuel wiederzuentdecken, auch wenn es das therapeutische Arbeiten nicht zwingend vereinfacht…
Das Thema „Aufmerksamkeitsspanne halten“ ist noch ein großes Thema bzw. eine große Aufgabe und Herausforderung für die nächste Zeit. Nichtsdestotrotz wurde mir heute schon gesagt: es besteht Schulpflicht – und von daher sei damit zu rechnen, dass Samuel ab der kommenden Woche auf der Station A auch wieder beschult wird. Zunächst gering… aber immerhin. „Die Pflicht ruft, mein Sohn“ („Lass sie nur rufen, Papa!“)
Wir sind gespannt!
An diesem Tag gab es noch eine Sache, die nicht unerwähnt bleiben darf: der erste Ausflug mit dem Auto – und dann gleich „miteinander essen gehen“, natürlich muss es dann die haute cuisine americano sein, zu deutsch: MCD…
2 Cheeseburger hat Samuel weggemampft und hatte sichtlichen Spaß an diesem Ausflug. Und ich war „glückselig“ in Anbetracht meines mampfenden (und auch Fanta-rülpsenden…) Sohnes. Ja, er wird auch wieder gesagt kriegen, dass er ein bisschen an seinen Eßmanieren in der Öffentlichkeit arbeiten darf. Aber für heute war ich einfach nur happy, dass es diesen Moment wieder gibt!
Gott sei Dank!

Röntgen – und ab in die Lauffreiheit (naja, fast…) (8.-10.11.2017)

An diesem Mittwoch hat Samuel Musiktherapie. Man hat Wind bekommen von seiner Musikalität – und es ist ja so: was einem Spaß macht und liegt, das fördert besonders. Insofern hatte die Musiktherapeutin sich gedacht, sie nutzt mal ein Schlagzeug…
Und, was soll ich sagen: das Ende vom Lied (…muaaah) war, dass er die Musiktherapeutin total verblüfft hatte: „ich mache sowas ja schon echt lange, aber das habe ich noch nicht erlebt: Samuel spielte 20min. Schlagzeug, als wäre nie etwas gewesen!“
Unser Wunderkind!
Gleichzeitig sind diese mega-Fortschritte aber auch ein bisschen „gefährlich“… wir geraten manchmal zu schnell in das Fahrwasser, ihn so zu sehen, als wäre er wieder der Alte – und dabei kostet ihn das alles noch so viel Kraft: diese mentale Aufmerksamkeit, auch motorische „Alltäglichkeiten“ sind eben tatsächlich alle noch „übungsbedürftig“. Es braucht seine Zeit – und er braucht eben auch immer wieder noch Ruhezeiten. So kommt von ärztlicher oder auch von pflegerischer Seite immer mal wieder der Hinweis, ihn nicht zu überfordern und Samuel keiner „Reizüberflutung“ auszusetzen. Rauszufinden, was fördert und was „überflutet“ erfordert sehr viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl. Es kam auch noch mal der deutliche Hinweis, dass selbst, wenn Samuel es möchte, wir ihn auf keinen Fall laufen lassen dürfen, bevor nicht die Röntgenaufnahmen vorliegen und der Orthopäde sein „Go“ (muaaah, s.o.) gegeben hat. Naja, am Donnerstag ist Röntgen und dann ist es ja abzusehen…
Vor dem Röntgen gibt es noch ein leckeres „Abendbrot“ – dazu gehen wir heute in den Speisesaal (was übrigens in der derzeitigen Situation, in der Samuel sich befindet, auch noch eine „Reizüberflutung“ ist – das durfte ich mir Donnerstag in der Visite anhören und von daher war dieser Ausflug erstmal „einmalig“… naja, auch das ist abzusehen.
Es gab ein Käsebrot, Kakao – und: plötzlich pulte er einen Zahn aus seinem Mund hervor. Ich krieg die Panik und denk mir: boah, vielleicht ist bei ihm ihm Kopf doch irgendwas so verquer, dass er jetzt nicht mehr vernünftig kauen kann und sich die Zähne kaputt malmt… sah ihn vor meinem geistigen Auge schon als dauerhaften „Breikost-Verköster“… Bin dann mit ihm zurück auf Station, wo mir ein Pfleger in aller Seelenruhe erklärte, dass das ein Milchzahn ist, der einfach so rausfällt, weil es für ihn an der Zeit gewesen ist. Das wäre auch ohne Klinikaufernthaft so passiert.
Nennt mich paranoid…
Wieder was dazu gelernt.
Bevor ich gehe, gibt es noch eine gute Nacht Geschichte aus der Kinderbibel. Heute wünscht Samuel sich die Noah-Geschichte. Ich lese und sage hinterher zu ihm: siehste, Noah war ganz schön lange weg vom Fenster und musste sich danach alles neu erarbeiten. Da bist du also nicht der Erste, mein Sohn. Gott ist ein Gott der Neuanfänge – und er fängt auch mit dir gerne immer wieder neu an.
Mir ist schon klar, dass es bei Noah noch andere Ebenen zu entdecken gibt – und dass diese „Verkürzung“ nicht zwingend meiner „theologischen Bildung“ standhält. Aber ich fand das an diesem Abend sehr passend – und Samuels zufriedener Gesichtsausdruck gab mir recht…
Apropos Neuanfang: ein „Neuanfang“ für Samuel ist seit diesem Tag die Tatsache, sich alleine im Zimmer zurecht finden zu müssen, da sein Bettnachbar Janno nun wieder zu Hause ist. Also „Einzelzimmerdasein“ – zumindest vorübergehend, zumindest so lange, bis evtl. doch noch mal jemand Neues zu ihm kommt. Das ist schon irgendwie doof, denn gerade in den letzten Tagen, in denen Samuel immer wacher wurde, spielten die beiden schon mal Ball zusammen oder Janno hatte auch mal ein Auge auf ihn und konnte den Schwestern Bescheid sagen, wenn irgendwas war… Aber da muss er durch – und zumindest in der Zeit, in der Samuel schläft, schläft er auch gerne ungestört und alleine, von daher…

An diesem Donnerstag bin ich schon um 8.40h bei Samuel, denn um 8.45h soll es los gehen zum Röntgen. Der Krankentransport ist überpünktlich und so steigen wir beide (er auf der Krankenliege, ich daneben im Sitz) in den RTW, der uns zum Johanniter-Krankenhaus in Geesthacht bringt. Die erste Autofahrt seit dem Unfall, die er bewusst wahrnimmt…
Dort angekommen, kommt Samuel auch direkt ran – 10min. Sache – und ab geht’s wieder zurück in die Reha-Klinik. Um 9.15h ist er wieder auf seinem Zimmer. Hammer! Die Therapien sind an diesem Tag alle auf den Nachmittag gelegt, um ihn nicht unnötig zu stressen. Das Ergebnis der Röntgenaufnahmen (Schlüsselbeinbruch und Unterschenkel) gibt es wohl aber erst am Freitag…
Nun wird erstmal ausgiebig gefrühstückt. Ein Brötchen mit Nutella UND QUARK, so wie er es auch zuhause liebt, wird verschlungen. Hmmm, lecker!!!
Kurz darauf kommt Besuch: seine Patentante bringt ihm „NUTELLA to go“ mit – und er zerplatzt fast vor Freude. Aber vorher muss er das Geschenk natürlich aufessen… 😉
Seit ein paar Tagen – und so auch heute – sind Spiele aller Art wieder sehr gut zum Zeitvertreib. Fingerspiele, Brettspiele, Ballspiele, Wortspiele… irgendwie alles mögliche und irgendwie klappt das auch alles wieder. Das ist so schön zu sehen. Auffällig ist auch, dass Samuel seine „Ausdrucksformen“ wieder deutlich normalisiert. Die „Echolalie“ (also das Nachplappern dessen, was gesagt wurde) nimmt deutlich ab und das „Ich – Bewusstsein“ nimmt deutlich zu. Er stellt Fragen, erzählt situationsbezogen, erinnert sich an lange zurück liegendes und ab und an eben auch schon an Dinge, die am Tag davor oder davor waren.
Abedns gönnen Yvonne und ich uns endlich mal wieder ein paar Stunden außer Haus: Spaziergang und anschließende „Einkehr“ in einem Bistro, wo zumindest ein bisschen Zeit zum Reden ist. Sonst ist es ja in diesen Tagen und Wochen beinahe schlimmer, als wenn ich arbeite… das Gefühl, man sieht sich im Grunde nur noch, um sich die Klinke in die Hand zu geben…

Am Freitag höre ich gleich morgens, dass die Orthopädie die „schmerzgesteuerte Belastung“ der linken Seite freigegeben hat, was eben bedeutet, dass Samuel so peu a peu wieder an das Gehen gewöhnt werden darf bzw. diese Dinge trainieren muss. Aber auch hier: die Therapeuten geben das Tempo vor und wir dürfen im Prinzip nur das machen, was die Therapeuten auch tun. Also nicht: mit ihm einmal über die Station laufen… sondern erstmal das Aufstehen vom Bett, ein paar Schritte zum Rolli (gestützt) und das war’s.
Nichtsdestotrotz STAND Samuel heute zum ersten Mal auch wieder vor dem Waschbecken. Ein im wahrsten Sinne des Wortes „erhebendes (bzw. erhabenes) Gefühl“!
Leider habe ich an diesem Vormittag kaum Zeit mit meinem Sohn: ich komme um 10 (wollte um 9h da sein), muss um 12h schon wieder weiter. Von 10-11h ist er mit Therapien unterwegs… Tja, so kann es gehen, auch solche Tage gibt es. Unterm Strich bleibt es aber ja auch doch eine sehr intensive gemeinsame Zeit… keine Ahnung, an welche Momente aus dieser Zeit auf dieser Station er sich später erinnern wird, aber für mich bedeuten diese Tage und Wochen natürlich auch sehr viel „quality time“ mit meinem Sohn, die ich sonst nicht gehabt hätte. (dass ich mir, wenn ich hätten wählen dürfen, eher weniger Zeit mit ihm und dafür keinen Unfall gewünscht hätte, brauche ich glaub ich nicht extra zu erwähnen…)
Wir bekommen es in diesen Tagen mit einer „altbekannten Thematik“ zu tun: Samuel ist „trinkfaul“. Das wird natürlich in der Klinik noch mehr beäugt als zu Hause und so sind wir alle hinterher, dass er viel trinkt. Es ist ja gut, dass er wieder normal trinken kann, keine „Verdickung“ mehr braucht. Aber der Körper braucht eben auch seine Flüssigkeit. Und nicht nur Kakao oder Fanta.
Aber es ist schön, auf solche „Alltagssorgen“ mit ihm zurück zu kommen, denn das zeigt uns, dass vieles im Umgang mit unserem Sohn sich der Alltäglichkeit und der Normalität schon wieder annähert – viel schneller, als wir das je zu träumen gewagt hätten. Wie schön!
by the way: alles, was getrunken und gegessen wird, muss akribisch dokumentiert werden. Auch jetzt noch, wo „Vollkost“ freigegeben ist. Auf Nachfrage bekomme ich erklärt, dass das eben vor allem auch damit zu tun hat, dass es für diese Dokumentation „mehr Geld in die Klinikkasse“ bringt. Davon kann man ja halten, was man will… ich will mich darüber jetzt hier auch nicht weiter auslassen. Es zeigt mir nur „ganz am Rande“, dass es ja auch in solchen Kliniken an ganz vielen Stellen auch schlicht und einfach um wirtschaftliche Gesichtspunkte geht, gehen muss..
Vor uns liegt ein relativ entspanntes, ruhiges Wochenende – allerdings mit der Aussicht auf den ersten Besuch eines Freundes – nach nun schon 6,5 Wochen ein bestimmt sehr schönes Erlebnis. Aber dazu – und zu manch anderem – im nächsten Blog!

loslaufen wollen und nicht können… und die letzten Tage mit Janno (05.-07.11.2017)

An diesem Sonntag ist in der Fuhlsbüttler Gemeinde, in der ich „normalerweise als Diakon wirble“, der alljährliche Basar – ein „riesen Pohei“, auf das schon wochenlang vorher in der Gemeinde alles andere ausgerichtet wird… Aber in diesem Jahr bin ich dann mal nicht dabei. Fühlt sich ein bisschen merkwürdig an – aber so ist es. Dieses Jahr werden die Prioritäten eindeutig anders gesetzt!
So bin ich mal wieder in Pattensen im Gottesdienst, diesmal mitgestaltet von der Organisation „open doors“, die sich um verfolgte Christen in der ganzen Welt kümmert. Auch ein sehr wichtiges Thema, unter dem biblischen Leitwort: „wenn ein Glied (des Körpers) leidet, leiden alle anderen mit. Kirche als „ein Leib“, als Einheit. Auch das kann ich wieder gut auf unsere momentane Situation beziehen: wir leiden – und bekommen mit, wie andere mit-leiden, mitgehen, mitbeten, mithelfen. So oft schon habe ich das gesagt, aber es gibt eigentlich keinen Tag, wo mir das nicht dankbar bewusst wird.
Während ich in Pattensen bin, bekommt Samuel schon Besuch. Heute von meinen Eltern, die auch schon länger nicht bei ihm waren und Bauklötze staunen können über die Fortschritte, die er seitdem gemacht hat. Die beiden fahren vorher in Winsen rum und gabeln Katharina und Charlotte auf, so dass es heute zum erneuten Wiedersehen kommt, was allen gut tut!
Als ich nachmittags bei Samuel bin, bekomme ich noch den Hinweis von meiner Frau: nutzt mal noch die Trockenheit und das schöne Wetter und kommt ein bisschen raus. Das machen wir: Jacke & Mütze an, Rolli fertig, los! Und dann denke ich mir… warum eigentlich immer nur Rolli fahren? Und wir schieben zum Auto. Ich frag Samuel: hast Du Lust, mal im Auto zu sitzen? Er grinst und sagt JA! Also Rolli in den Kofferraum, Samuel auf die Beifahrerseite gehievt und ne kleine Runde gedreht. Natürlich auch Radio Hamburg angemacht. Das alles freut ihn sichtlich. Endlich mal wieder mehr sehen. Nach nur 10min. im Auto steigen wir aber schon wieder aus. Keine Reizüberflutung!
Danach ist er auch relativ platt, möchte gerne ins Bett zurück.
Insgesamt merke ich, wie mich heute seine noch etwas „ungeordnete Art“ wieder etwas verunsichert… Er spricht häufig von sich selbst in der 3. Person, plappert Papagei-artig alles nach, anstatt zu antworten oder selbst was zu sagen, oder er gibt unpassende Antworten, oder es wird „irgendwas zusammenhangloses“ erzählt.
Ja, ich weiß, man spricht jetzt vom „Durchgangssyndrom“ und ja ich weiß, das dauert seine Zeit und ja ich weiß, es ist in der Regel reversibel. Aber wer sagt mir, dass diese Regel auch bei ihm gilt? Immer wieder hatte ich diese Momente in letzter Zeit, dass ich dachte: was ist, wenn er bei dem stehen bleibt, wie es jetzt gerade ist? ängstlich Gott vertrauen.. ein Widerspruch? Aber genau das ist die (schwere) Übung, in die ich immer wieder geschickt werde… Ein großes Ziel und eine große Hoffnung vor Augen (er wird wieder gesund, ein „fröhliches Schulkind“) und dennoch von Tag zu Tag schauen, dennoch nur an jedem Tag sehen, was gerade geht oder eben noch nicht geht. Das ist hart…
Und ich muss es aushalten, dass manche Tage ohne „happy end“, ohne befriedigende Antwort zu Ende gehen… Der heutige Tag geht sogar noch mit einem Schrecken zu Ende: Zuhause sind alle ganz aufgelöst, weil vom Plastik-Babylöffel, mit dem Elisabeth ihren Abendbrei bekommt, die Spitze fehlt… Abgekaut? Runtergeschluckt? Wohlmöglich mit scharfen Kanten? Au wei… innere Verletzungen? Der nächste „Sorgenfilm“ läuft innerlich ab… Aber bei allem Hin- und Her und aller Unsicherheit entscheiden wir uns, abzuwarten und sie zu beobachten. Um es vorweg zu nehmen… die Nacht war okay und das Baby ist nach wie vor wohlauf. Irgendwann war dann aber tatsächlich das Stück Löffel in der Windel… Tssss…

Am Montag ist Samuel sehr beweglich und unruhig, will immer einfach los. Man beschließt, für ihn eine andere Art der „Fixierung“ bzw. Gurt im Rolli zu haben, eine, die eben auch den Brustbereich „festhält“. Nicht besonders schön, aber da Samuel gerade dabei ist, seinen „Rolli-Führerschein“ selbstständig zu erneuern (er kurvt filigran um kleine Ecken herum, weiß genau, welches Rad er wohin drehen muss, um in bestimmte Richtungen zu kommen…), kann es auch schon mal sein, dass er sich im Rolli aus dem Zimmer bewegt – und wenn er dann nicht vernünftig „angeschnallt“ ist, kippt er evtl. beim Versuch, aufzustehn, aus dem fahrbaren Untersatz. Auch nicht schön…
Bei einem gezielten Ausflug mit dem Rolli schauen wir uns die „Station A“ an, das ist die normale Kinderstation, auf die Samuel ab dem 20.11. verlegt wird. Dort gibt es dann auch „Rooming in“, also Einzelzimmer mit „Elternteil-Bei-Bett“. Und ein Spielzimmer. Hach… wenn wir erst mal da sind… dann wird er hoffentlich schon einen ganz neuen Level an Beweglichkeit erhalten haben. Wir freuen uns darauf.
Bezogen auf meine Ängste von gestern ist Samuel heute schon „ganz anders drauf“: Er suchte das Gespräch mit seinem Bettnachbarn, stellte Fragen, scherzte und macht einfach weiter irre viele Fortschritte, auch im kognitiven Bereich. So dass uns der Mund offen stehen bleibt. Ich stehe im Badezimmer, sehe, wie er sein BVB-Kissen durch die Luft wirft und im Zimmer fliegen lässt, so dass es weit weg von ihm landet. Ich sage: „Kann man machen“. Er antwortet laut: „Muss man aber nicht“ – und lacht sich schlapp. Einfach schön 🙂
Die Logopädin meinte heute, Samuel würde sie an einen Jungen erinnern, der vor ca. einem Jahr da war: 12 Jahre alt, auch mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma. Nach 4 Wochen auf der IMC (die Station, auf der Samuel auch gerade ist) war er noch für ein paar Wochen auf einer normalen Station und ging dann gesund nach Hause. Sie meinte, es würde sie mittlerweile nicht mehr wundern, wenn Samuel eine ähnliche Entwicklung macht. 😊 Doch, ich muss sagen: WUNDERN im Sinne von WUNDERBAR FINDEN, im Sinne von nicht wirklich damit rechnen, es nicht wirklich erwarten… würde ich das immer noch. Es wäre natürlich zu schön!
Abends sind wir noch im Speisesaal – er hat Lust auf Nudelpfanne mit Geflügelfleisch. Das wird dann mit ein bisschen Milch versehen und püriert und: OOOOHHH das schmeckt. Nen riesen Teller hat er davon verputzt. Super! Ganz anders als Zuhause 😉
Dann werden wir dort „abgefangen“ von der Logopädin, die uns gesucht hat, weil sie für Samuel einen neuen Rolli gefunden haben; einen, der die obigen „Gurt-Ideen“ beinhaltet. Damit muss er dann auch erstmal neu fahren üben, aber das ist ein Projekt für morgen. Heute geht’s noch ans Zähneputzen (im Rolli, vorm Waschbecken) incl. Mund spülen (ohne runter zu schlucken! Macht Samuel prima!), Schlafanzug an, Lied, Gebet – und gute Nacht!

Am Dienstag fahre ich vormittags hin. Mir wird auf der Fahrt bewusst, dass es jetzt auf den Tag genau schon 6 Wochen sind, seitdem uns der Unfall aus allem heraus gerissen hat. Aber in den 6 Wochen ist so viel Gutes passiert, dass ich mir sage: wenn die Prognose lautet „mit 6 Monaten Reha müssen Sie rechnen“, dann haben wir incl. der Zeit auf der Intensivstation mit etwa 30 Wochen zu rechnen, haben jetzt also 1/5 geschafft. Eine harte Zeit, in der aber unterm Strich das Positive überwog. Und dann schaffen wir die restlichen 80% der Zeit auch noch…!!!
Die Schulter (Schlüsselbeinbruch links) wurde heute morgen getapet (d?), das ist nach so vielen Wochen Unbeweglichkeit durch den Stützverband wieder ein Stück mehr Mobilität, die Samuel gut tut. Das Bein (Fraktur Unterschenkel links) ist ab jetzt auch fast immer ohne Schiene. Am Donnerstag ist Kontroll-Röntgen, wir hoffen, dass alles gut verheilt ist, so dass dann auch die Belastung der linken Seite Stück für Stück erfolgt und er das Laufen wieder wirklich üben darf. Er würde jetzt schon, wenn man ihn ließe…
Die Logopädie gibt die „Vollkost“ frei, d.h. ab jetzt muss nix mehr püriert werden. Wieder ein Stück weiter – auch hier: die Normalität kehrt zurück, wie schön! 🙂
Interessant ist, dass er immer mal wieder Momente hat, wo er „irgendwie“ versucht einzuordnen, was mit ihm los ist. Heute gab es eine Szene, in der er mit Janno, seinem Bettnachbarn Ball hin- und herwerfen gespielt hat. Dabei hat Janno ihn wohl am Kopf getroffen, worüber Samuel sich danach furchtbar bei mir beschwert hat: Janno habe ihn so am Kopf getroffen, dass das richtig weh tat – und er fasst sich dabei an seine Narben auf der Stirn. Also immer mal Momente, in denen das „AUA am/im Kopf“ bewusst wird und versucht wird, einzuordnen.
Ungeachtet dieser „Ballwurf-Erfahrung“ gibt es noch ein schönes Zitat für mich mit auf dem Weg. Heute vom Oberarzt, der mir im Rahmen eines „small talks auf dem Flur“ sagt: „Herr Heins, ich glaube, Samuel geht gesund nach Hause!“ – und strahlt dabei.
Ach wie cool ist das! Da kann ich auch seine immer noch vorhandene „Kopf-Unsortiertheit“ wieder besser nehmen.
An diesem Tag haben wir einen „Garten-Engel“, der bei uns Buschwerk beseitigt und einen Putz-Engel, der bei uns saugt und wischt. Diese Kleinigkeiten sind so viel wert – und im normalen Alltag ja auch schnell selbst gemacht. Aber momentan… wir sind einfach immer wieder dankbar über all diese Helfer und Hilfen. Ich kann gar nicht alle und alles hier immer erwähnen, deshalb gibt es nur manchmal exemplarische Beispiele. Aber es sind so viele und es tut so gut und gibt die Kraft, die wir in diesem Marathon (Vergleich: von 42,195km haben wir möglicherweise gerade mal 8,5km geschafft und fühlen uns jetzt oft schon ausgepumpt) wirklich immer wieder brauchen. Danke! 🙂
Nachmittags erreicht uns noch eine Mail von Samuels Klassenlehrern. In der kommenden Woche werde ich mal wieder in Samuels Klasse gehen und von seiner aktuellen Entwicklung berichten – um dann auch hinterher mal mit den Lehrern über den „Weg zurück“ zu sprechen. Abends wird dann noch ein Elternabend sein, wo es schwerpunktmäßig auch um die Klassenfahrt Ende April gehen wird. Noch vor ein paar Wochen hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass diese Klassenfahrt für Samuel je relevant sein könnte. Aber mittlerweile.. denke ich, wir sollten an diesem Elternabend teilnehmen!
Apropos Elternabend: an diesem Dienstag bin ich das erste Mal seit sechs Wochen wieder in der Kirchengemeinde in Fuhlsbüttel, da dort ein Elternabend für Konfi-Eltern stattfindet. Mir bedeuten diese Elternabende immer viel und es gibt auch viele aus der Elternschaft, die unsere Situation „mit auf ihr Herz genommen haben“. Von daher war es mir wichtig, hinzufahren. Und: es hat sich gelohnt. Es war gut – und solche kleinen Termine wird es in den nächsten 3 Wochen immer mal geben, sofern sie familiär passen. Das hilft mir, wieder langsam reinzukommen und eben auch mal was anderes zu denken und zu sehen. Und das kommt dann wohl auch wieder Samuel und der ganzen Familie zugute, denke ich.

So, morgen geht’s weiter. Im nächsten Blog-Eintrag lässt sich dann etwas über seine erste Musiktherapie-Stunde lesen. Eine Stunde, in der er wieder mal „alle Erwartungen übertrifft“..

ein lang erwartetes Wiedersehen – und die Tage davor (Do. 2.11.-Sa.4.11.2017)

Vorab: diesmal wird’s lang… 🙂

Zur Zeit geht es „Schlag auf Schlag“ mit den Fortschritten im motorischen und kognitiven Bereich. So viel, dass es teilweise schwer fällt, alles zu behalten – auch schon nach ein paar Tagen. Aber darüber will ich nicht jammern – sondern jubilieren! Wer hätte das gedacht? (Der Oberarzt sagt am Freitag: „Samuel ist unser Überflieger hier“. Auch das nehmen wir gerne mit!)
Nachdem einige Spiele der Ergotherapeutin nicht so wirklich Anklang fanden, meinte Yvonne, ich solle doch mal Elfer raus mitnehmen. Das mag er. Gesagt – getan. Und: ja, er spielt mit! Natürlich nicht die „volle Version“, sondern eine Light-Variante: ich lege die 4 unterschiedlich farbigen 11er Karten hin und zeige ihm immer eine Karte, die er zuordnen soll. Fehlerfrei, 10min. lang! Mir bleibt der Mund offen stehen. Hammerhart, der Junge!
Mit der Sprache gibt es noch einige Verständnisschwierigkeiten. Viel Nuscheln, aber das Sprechen ist schon um einiges besser als am Vortag. Dazu kommen viele motivierte und sehr freundliche Logopäden, die Zungenakrobatik mit Samuel machen, so dass er die Muskeln in diesem Bereich immer besser trainiert. Schlucken ist schon eine Selbstverständlichkeit; ein „Kauschlauch“ testet sein Kauvermögen… ein rundes, langes Gummiteil wird in Apfelmus getaucht und dann soll er auf beiden Seiten abwechselnd kauen. Funktioniert prima. Als Belohnung steht ein Nutella-Brot am kommenden Tag in Aussicht. Mit Quark, so wie er es liebt! Die Flüssigkeiten werden noch etwas angedickt, aber auch das „läuft“ schon super die Kehle herunter.
Ich bin an diesem Tag ausnahmsweise mal vormittags bei ihm und Mama hat ein bisschen freie Zeit, die sie unter anderem dafür nutzen kann, zum Friseur zu gehen (schreibt man das so? Was ist das überhaupt?… hab ich glaub ich schon über 25 Jahre nicht mehr genutzt…). Es ist schön, in diesen ja doch stressigen und vollgepackten Zeiten kleine Oasen zu haben, in denen mal etwas „zum Wohlfühlen“ möglich ist.
Auch motorisch zeigt die Kurve weiter nach oben. Ja, seine Bewegungseinschränkungen (Stützverband am linken gebrochenen und genagelten Unterschenkel, Stützverband für die linke Schulter/ das Schlüsselbein, der auch den linken Arm quasi still legt) nerven ihn total und er zuppelt immer wieder an all diesen Dingen rum. Natürlich auch an der Magensonde… Aber nichtsdestotrotz: er sitzt selbstständig und ohne Hilfe an der Bettkante, schaut sich im Raum um, steht auf, setzt sich hin… das klappt alles schon wirklich super!
Wir spielen immer wieder Ball. Werfen und Fangen – er hat es nicht verlernt, auch wenn natürlich der linke Arm/ die linke Hand gar nicht wirklich mitspielen kann im Moment.
Und ich provoziere sein Lachen! Kitzel ihn immer wieder durch. Zur Entspannung gibt es auch heute wieder Hörspiele von den „Teufelskickern“. Heute kriegt die Mama mal einen „abgekämpften Samuel“ und ich hatte das Vergnügen, die „powervolle Phase“ mitzubekommen. Auch schön 🙂
Was uns in vielen Tagen beeindruckt, ist die finanzielle Unterstützung, die wir bekommen! Manchmal auch verbunden mit „kreativen Ideen“, wie z.B. eine geplante Lesung oder auch, dass Samuel „einfach so“ als „Spendenzweck“ einer bestimmten Aktion, die ohnehin gelaufen ist, bestimmt wird. Das ist so klasse!
————– Einschub: Ich schrieb es ja schon an anderer Stelle, wiederhole das hier aber auch gerne noch mal: Unsere Idee ist es, das Geld auf unterschiedlicher Ebene einzusetzen: evtl. für anfallende Therapiekosten, oder aber auch für Extrabelastungen unsererseits (z.B. Fahrtkosten täglich 2x nach Geesthacht), oder aber auch für „Extra-Freuden“ der Geschwisterkinder, für Kleinigkeiten im Haushalt, die wir selbst z.Zt. nicht geregelt kriegen, wo wir aber dann Unterstützung „einkaufen“, evtl. ein „Erholungsurlaub“ für die ganze Familie, wenn die Strapazen der Reha überstanden sind und der Familienalltag wieder möglich ist usw.
Das, was wir so nicht brauchen, würden wir an die Organisationen spenden, denen wir bis jetzt auch schon einiges verdanken: dem Ronald-MC-Donald-Haus in Eppendorf, dem UKE-Kinderkrankenhaus incl. Elternhilfe dort, dem Klinikum in Geesthacht, einem Verein für Familien mit Kindern, die Schädigungen durch ein SHT erlitten haben.
Diesen Organisationen geben wir schon jetzt 10% von dem, was wir an Finanzieller Unterstützung bekommen.
Praktisch geht das so: entweder man spendet via paypal an willem.f@web.de oder man erfragt über diese Mail-Adresse unsere Kontodaten. Dann erkläre ich auch weitere Details. Einschub ENDE! ——
Auch der Freitag ist ein wichtiger Tag im Genesungsprozess! Denn: seit diesem 3.11. gegen 18h ist Samuel endlich, endlich, endlich seine MAGENSONDE LOS!! Dieses verhasste Ding, an dem er so oft rumzuppelte, was seine Atmung beeinträchtigte, sein Sprechen usw. Er hatte sich diese Sonde so oft selbst gezogen (in Spitzenzeiten 3-4x an einem Tag), sie musste dann immer wieder neu eingesetzt werden. Auch das ist natürlich äußerst unangenehm, der ganze „Kanal“ wird natürlich auch sensibler… So gab es beim Ziehen auch noch mal einen unangenehmen Moment, der zu Tränen geführt hat, aber nach einem kurzen Trösten konnte ich ihm klar machen, dass ab jetzt das Leben wieder ein ganzes Stück genussvoller wird, weil mit jedem Tag wieder mehr „gewohntes und geliebtes Essen und Trinken“ den normalen Weg nehmen kann. Heute wurde ein Anfang mit einem kleinen, von Yvonne vorbereiteten Picknick, gemacht: ein Nutella-Brot mit Quark. Hmmm, wie lecker! Samuel aß das, als hätte es nie eine Unterbrechung dieser Art gegeben – und zwischenzeitlich fütterte er mich auch mit einem Stück! Ich mag das zwar nicht so wie er… aber alleine, dass er mit dem feinmotorischen „Pinzettengriff“ das Brotstück zielsicher in meinem Mund platzierte, war ein bedeutsamer Moment für uns alle.
Es gab an diesem Tag noch etwas sehr schönes für Samuel: sein Patenonkel Bernd kam aus Hameln zu Besuch! Bernd hatte Samuel zuletzt am Samstag nach dem Unfall auf der Intensivstation in Eppendorf gesehen – und das war natürlich ein völlig anderes Bild, ein „Unterschied wie Tag und Nacht“, wie Bernd sagte. Oder auch: wie Tod und Leben. Sie konnten miteinander scherzen, Bernd erzählte ihm etwas von einem Stadionbesuch, brachte noch ein Geschenk mit in Form von BVB-Kleinigkeiten (BVB-Taschentücher waren auch dabei, momentan ja auch wirklich besonders wichtig! ;-)…) und er hörte „Hallo Bernd“ und „Tschüss Bernd“ aus Samuels Mund. Es war wirklich schön. Am Ende des Besuchs gab es noch ein Nachtlied mit Gitarre und ein Abendgebet von Bernd.
Und übrigens: wir wurden ja sehr häufig in den letzten Wochen gefragt: wie geht es Samuel? Und konnten ja eigentlich nur aus unserer „Fremd-Sicht“ berichten, was es eben medizinisch zu berichten gibt. Wie es ihm wirklich geht, war ja irgendwie auch ein Stück Spekulation. Heute gab es vormittags eine Sprachnachricht, in der er sagte: Hallo Papa, wie geht es dir? Mir geht es gut!

…und mir geht das Herz auf! Unser Wunderkind! 🙂
Zwei Dinge lassen sich zu diesem Tag noch erwähnen: zum einen haben wir mit meinem Arbeitgeber auf der einen und der Krankenkasse zur anderen Seite die Entscheidung treffen können, dass ich mich nun doch bis Ende November noch von der Arbeit freistellen lasse, um mich als „Haushaltshilfe“ zu Hause einsetzen zu lassen. Da dies offiziell ein unbezahlter Urlaub ist, gibt es ja Verdienstausfall – und dieser wird von der Krankenkasse ausgeglichen. Wir sind sehr froh über diese Möglichkeit – und über die Kooperation der daran beteiligten Personen bzw. Organisationen. Gut dass es so etwas gibt.
Das andere: Am Abend findet in Winsen ein Konzert des „Sternenstaub-Chores“ anlässlich seines 10jährigen Bestehens statt. Samuel ist seit Sommer auch Mitglied des Chores und hätte an diesem Abend auch auf der Bühne gestanden. Yvonne wollte nichtsdestotrotz zu diesem Konzert – schon allein, um ein paar „Hörbeispiele“ aufnehmen zu können und sie Samuel dann vorzuspielen. Wir hoffen, dass er bei der nächsten (oder übernächsten) Konzertgelegenheit wieder mitmischen kann. Die Chancen dafür stehen jedenfalls recht gut!
Am Samstag kommt es, wie oben schon angekündigt, zu einem ersehnten Wiedersehen zwischen unserer dreijährigen Charlotte und ihrem großen Bruder SCHAMUEL! Das war so schön zu sehen! ein „Hallo Charlotte“, ein „im Rolli auf den Schoß nehmen“, ein Knuddeln und Kuscheln und gemeinsames Singen, ein nebeneinander im Bett liegen und miteinander Ball spielen… es war einfach schon wieder so viel möglich an diesem Tag – und auch wenn sie anfangs etwas irritiert war über seinen momentanen Zustand, der ja doch noch etwas weiter von dem entfernt ist, wie es vor dem Unfall war, so hat sie ja doch vieles von ihrem Samuel wiederentdecken können und sich einfach so sehr gefreut. Diese Freude war auch Samuel ganz deutlich abzuspüren und wurde von uns allen geteilt.
Und auch seine große Schwester, Katharina, hat ihn an diesem Tag sehr gefordert: sie stellt ihm kleine Rechenaufgaben, fragt ihn etwas auf englisch und er antwortet das richtige auf englisch, stellt ihm Scherzfragen, die er korrekt beantwortet (was ist braun und hinter Gittern – Samuel: „eine Knastanie“) – hammer, hammer, hammer stark! Dazu kommt noch die Wiederentdeckung des Lesens: beim Fahren über den Flur liest er Schilder und Beschriftungen. Der Junge ist schon beinahe wieder schulfähig…
Naja, das braucht noch ein bisschen. Nichtsdestotrotz wird uns mitgeteilt, dass er am 20.11. auf eine normale Station in dem Haus verlegt wird, weil er ja nun demnächst kein Monitoring o.ä. mehr benötigt. Das ist auch eine schöne Aussicht. Die Ärztin spricht bei ihm momentan vom „Durchgangssyndrom“, es ist noch vieles ungeordnet („so ähnlich wie in einem chaotischen Durcheinander im Kinderzimmer“) und es braucht einfach seine Zeit, bis sich die Dinge wieder ordnen. Die soll er haben – aber, hey: wir sind alle so baff über die wenige Zeit, die er für so vieles benötigt hat bisher.
Was mich persönlich sehr freut, ist das Wiederkehren seines „Ich-Bewusstseins“. Z.B. wenn er dem Pfleger morgens beim Duschen (es gibt ein Liege-Dusch-Bett) sagt: „ich möchte gerne aufrecht sitzen“ – und sich hinsetzt. Das sind einfach so kleine Dinge, die zeigen, dass er auch als Person, als Persönlichkeit wieder kommt. Auch das gemeinsame Musik-machen (ich spiele Gitarre, er klopft rhythmisch auf eine Trommel) gehört dazu. Wir freuen uns so in diesen Tagen.
Nach einem Toilettengang (im Rolli zur Toilette und dann endlich mal wieder auf einer normalen Toilette sitzen!) und Zähneputzen am Rolli vor dem Waschbecken wird der Schlafanzug angezogen und nach dem Gute-Nacht-Lied und Gute-Nacht-Gebet gehe ich dann gegen 18.50h aus seinem Zimmer. Er schläft erschöpft, aber sehr glücklich, ein!
Wir blicken auf schöne Tage zurück! Und ich blicke ab jetzt mit euch zusammen auf eine Zeit, in der dieser Blog tatsächlich immer (in 3-Tages-Schritten) das Aktuellste bietet und nicht mehr hinterher hinkt. So kann ich jeden Tag das aufschreiben, was es an dem Tag gab – und nach drei Tagen wird es dann euch allen lesbar zur Verfügung gestellt!

„Happy Birthday to you“ – ein mehrdeutiger Gesang am 31.10. und die Tage drumherum

Am Montag bin ich wie schon so oft am Nachmittag bei Samuel gewesen. Eine seiner „Hauptbeschäftigungen“ seitdem er etwas wacher geworden ist, ist das ständige „Rumzuppeln“ an der Magensonde: so ein Schlauch in der Nase ist nervig, gehört da nicht hin und Samuel weiß genau, wie er ziehen muss, damit er das Ding los wird. Das passiert dann schon so 2-3x täglich.  Leider! Denn das „Wieder-Einführen“ einer neuen Sonde ist für ihn auch sehr unangenehm. Aber nun gut. Ich komme Montag hin, gerade in dem Moment, wo Samuel sich mal wieder davon befreit hat. In diesem Moment kommt auch die Logopädin, die versucht, mit ihm ein wenig das Essen zu üben. Die Pflegekräfte vereinbaren, nach dem Logopädie-Einsatz die Sonde zu legen. Nach dem Logopädie-Einsatz will Papa aber mit seinem Sohn „on tour“: einmal im Rolli, dick eingemummelt in einer neuen BVB-Jacke, dazu noch mit BVB-Mütze, wollen wir endlich mal vor die Tür (ich erwähne jetzt nicht, dass ich unter normalen Umständen keinen Handschlag getan hätte, um meinen Sohn in BVB-Klamotten zu stecken. Als Vollblut-HSVer… aber neee, ich wollte ja kein Wort darüber verlieren…).  Und ich vereinbare mit den Pflegern, dass es ja nicht nötig ist, die Sonde vor dem Ausflug zu legen. So hat Samuel insgesamt einfach mal 1,5Stunden „Sondenfrei“, das ist wirklich auch ein Gewinn für ihn!
Nach so langer Zeit endlich mal wieder raus, bewusst atmen, bewusst sehen, bewusst riechen… Das letzte Mal, als Samuel draußen war, war bei der Verlegung vom UKE nach Geesthacht – und da hatte er einfach nicht besonders viel mitbekommen.
Auch, wenn dieser Ausflug nicht „garniert war“ mit Kommunikation: ich konnte doch spüren, dass ihm diese Zeit draußen gut getan hat. Es war auch anstrengend, natürlich… denn wer so lange liegt (fast 5 Wochen!), für den ist das aufrechte Sitzen, das „Kopf gerade halten“ schon Schwerstarbeit.
Nachdem wir wieder drin sind und ich ihm ins Bett geholfen habe, war auch schon das Kräftereservoir erschöpft. Ich merke das daran, dass er sich dann zur Seite dreht und auf nichts mehr wirklich reagiert.
Na gut, ein bisschen Pause, dann gibt es noch ein kleines Hörspiel… die Zeit vergeht, die Kräfte und die Aufmerksamkeit kommen wieder. Dann machen wir eine kleine Sprach/Ton-Übung, weil ich von Yvonne schon gehört habe, dass er zu erkennen gibt, dass Sprache und Töne in ihm schlummern. Und tatsächlich: er sagt PAPA! Laut und deutlich. Zwar noch mit zittriger Stimme, noch gedämpft. Aber für diesen Moment ist es das schönste PAPA, das ich jemals aus seinem Mund gehört habe. So ähnlich vielleicht wie das allererste „PAPA“, das erklang, als unsere Kinder damals anfingen zu sprechen (bzw. wie es sein wird, wenn unsere Kleinste mit ihren jetzt 7 Monaten mal „PAPA“ wird sagen können). Ich bin so beseelt von diesem Moment und glaube ganz fest, dass noch sehr viele solcher beglückender Momente folgen werden. Er geht seinen Weg ZURÜCK! Es ist so schön, darin immer wieder vergewissert zu werden!
Zum Abschied gibt es noch „Der Mond ist aufgegangen“, wie so oft singe ich das mit Gitarre an seinem Bett. Samuel kennt es von Klein auf. Und: ich darf beobachten, wie er „mitsingt“. Noch ohne Ton, aber er bewegt seine Lippen so, dass ich den Text bei ihm „ablesen“ kann. Whow! Wieder ein Fortschritt. Das ist so klasse – ich freu mich so.
Gar nicht fröhlich ist an diesem Tag zumindest in einem ganz bestimmten Moment unsere dreijährige Charlotte (die inzwischen ihre Hand-Fuß-Mund-Erkrankung überwunden hat). Sie kommt mit ihrer Mama ins Gespräch über Samuel und macht deutlich, dass sie „ihren Samuel wieder haben möchte“. Sehr häufig vergisst sie das im Alltag oder wir können manchmal auch ganz unbefangen und locker darüber sprechen, dass er ja bestimmt bald wieder kommt. Aber manchmal kommt diese Traurigkeit und dieses Unverständnis halt doch durch.
Dennoch: wenn wir erleben dürfen, dass Samuel anfängt zu sprechen und somit auch kommunikativer wird, ist der Tag, wo Charlotte „ihren Samuel“ zumindest wiedersehen darf, nicht mehr weit.  Möglicherweise wird es sie etwas verstören, dass er noch so „anders spricht“, dass er verlangsamt reagiert, dass er nicht so wach guckt wie sie das von ihm kennt. Aber ein Wiedersehen wird zuerst einmal pure Freude für beide.
Und noch ein trauriger Moment am Ende des Tages: kurz bevor ich gehen will, kullern bei Samuel die Tränen, als er verzweifelt versucht, etwas zu sagen, aber merkt, dass die Worte seinen Mund nicht so verlassen, wie er das gewohnt ist bzw. so, dass ich ihn verstehe. Ein Moment der Verzweiflung über seine Situation… so etwas auszuhalten und auch fröhlich optimistisch dagegen zu halten, ist hart – ist aber das einzige, was geht und was „geboten ist“. Solche Momente wird es noch häufiger geben, da bin ich mir sicher. Es zerreißt mein Herz, einerseits! Und andererseits bin ich mir eben auch sicher, dass es noch wahnsinnig viele Erfolgsmomente für ihn geben wird, so dass sich ein „optimistischer Ausblick“ auch rechtfertigen lässt. Ich habe Samuel einfach ganz fest in den Arm genommen, ihm kurz erzählt, dass er einen schlimmen Unfall hatte und dass nun sein Kopf vieles wieder neu lernen muss. Aber dass er eben auch schon so viel geschafft hat in den bisherigen Wochen und dass er mit eigenem Willen und der Hilfe vieler Menschen – und letztlich auch der Hilfe Gottes noch ganz viel schaffen wird.
Wir beten noch gemeinsam und dann verabschiede ich mich. Alles ist gut – in diesem Moment!
Am nächsten Tag ist FEIERTAG. Reformationstag! Whow! 500 Jahre Reformation. Ich bin mir sicher, dass ich unter normalen Umständen diesen Tag bewusst auch in seiner Bedeutung nicht nur erlebt, sondern auch mitgestaltet hätte. So ist es nur eine Randerscheinung… Oder doch nicht? „Sola gratia, sola fide, solus christus, sola scriptura. Soli deo gloria“ Wenn auch irgendwie anders, so erlebe ich in den letzten Wochen doch genau das: welcher Halt mir die Worte der Bibel sind. Wie ich auf Christus alleine hoffe in dieser Situation. Wie ich merke – auch wenn (hoffentlich nur vorübergehend…) bei Samuel viele Dinge nicht da sind, die ihn im gesunden Zustand ausmachen… – dass daran nicht sein WERT hängt. Es hängt nicht an dem, was er leistet. Gottes Liebe, die er in der Taufe zugesprochen bekommen hat, gilt unverbrüchlich, ganz egal, wie zerbrüchlich oder zerbrochen Samuels Zustand ist. Und auch dies:  allein der Glaube, allein das Vertrauen – darauf kommt es an. Wir können ja doch nichts wirklich „machen“, außer GOTT zu vertrauen. Und das ist schon sehr viel!
Ansonsten ist dieser Tag als FEIERTAG im Rahmen einer Reha immer irgendwie doof, weil an solchen Tagen keine Förderungen/Therapien stattfinden. Und gerade wo die Sache mit der Magensonde so nervt, hatten wir gehofft, hier große Schritte gehen zu können, dass er das Ding endlich los wird. Aber nun heißt es weiter warten…
Ein Tag, wo nix passiert? KEINESFALLS! Für Entwicklungsschritte sorgt Samuel selbst! Ich bin an diesem Vormittag zusammen mit Charlotte bei dem Geburtstag meines jüngsten Patenkindes in Hamburg (sie wird auch 3 Jahre alt). Beim Ankommen „erwischt“ mich eine Sprachnachricht meiner Frau – nein: meines Sohnes! Zunächst ein deutliches „GUTEN MORGEN PAPA“ und dann später „im Duett“ mit seiner Mama ein gesungenes (!) „Happy Birthday to you“ für die 3 jährige Hanna. Ich bin so gerührt, könnte die ganze Welt umarmen. Mein musikalischer Sohn entdeckt den Gesang wieder, die Töne, die Melodien. Wie wunderbar, wie zauberhaft! Und so singt er „Happy Birthday“ to you irgendwie nicht nur für Hanna, sondern auch für sich selbst, seine Stimme, seine Töne!
Am Nachmittag kommt Katharina aus Hanstedt zurück. Die „Abenteuerfreizeit 74“ ist zu Ende. 74 – da in der Bibel 74x steht „fürchtet euch nicht“. Das als Grundlage der Freizeit – natürlich wohl auf dem Hintergrund, dass wir uns nicht an Halloween halten wollen (am 31.10. DAS FEST des Fürchtens), sondern in diesem Jahr besonders den Focus auf den Reformationstag legen und auf die Entdeckung Martin Luthers, dass wir uns vor Gott nicht fürchten müssen, sondern dass ER uns gerecht macht und gerecht spricht. Aber ich denke mir: wie gut, dass Katharina in ihrer persönlichen Situation (Angst um ihren Bruder, Angst um die Zukunft der Familie) diese Grundlage erneuert bekommt: fürchtet euch nicht!
Es waren sehr gute Tage in Hanstedt!
Am Mittwoch bin ich zu meinem Arzt gefahren, um mich nun noch für eine weitere, für die sechste Woche, krank schreiben zu lassen. Danach muss es wieder los gehen mit einem Arbeitsalltag, mit einem Alltag zwischen Fuhlsbüttel, Geesthacht und Winsen. Ich hab auch schon einen Plan erstellt, wie das alles gehen könnte und mache mir viele Gedanken.
Als ich mit Yvonne zusammen sitze, merke ich jedoch, dass das alles so nicht passt. Sie wäre schwer überfordert mit dem Gefühl, dass ich in Hamburg, „weit weg von allem“ bin und sie sich zwischen Geesthacht und Winsen zerreißen muss…
Es wäre besser, für die Zeit, in der Samuel noch so „hilfsbedürftig“ ist wie im Moment, eine Lösung zu finden, dass ich noch nicht wieder arbeiten muss. Wenn er erstmal wieder alleine laufen, alleine zur Toilette kann, alleine essen und sich sprachlich so mitteilen, dass die Pflegekräfte verstehen, was er möchte, dann ist es wohl auch möglich, ihn mal für eine Weile ohne elterliche Betreuung zu lassen, also auch „Pufferzeiten“ z.B. in der Mittagspause zu haben, in der dann keiner von uns da ist… Wir hoffen und sind aufgrund seiner Entwicklung zuversichtlich, dass dies in den nächsten 3 Wochen so weit sein könnte…Wir überlegen  also, wie eine solche Lösung aussehen kann – und ich werde am morgigen Donnerstag mal ein Gespräch mit dem Sozialdienst an der Reha-Klinik haben, möglicherweise blicken die weiter…
Yvonne hätte an diesem Tag einen Zahnarzt-Termin gehabt, den sie aber gestrichen hat, weil sonst niemand bei Samuel wäre… Eins von vielen kleinen Beispielen, das deutlich macht, dass trotz vieler hilfsbereiter Menschen um uns herum (und wieder mal DANKE, DANKE, DANKE dafür!) etliches eben doch bei uns bleiben muss, so dass wir eben doch stärker gefordert sind als ein Arbeitsalltag es momentan erlauben würde… So viel Koordination. Wer fährt wann wohin, ist wann für welches Kind da?…
Für Samuel gibt es an diesem Tag zwei schöne „Mitbringsel“. Eine Handtrommel, an der er schon kräftig übt – sogar das Trommeln mit den einzelnen Fingern klappt schon – und einen SCHOKOPUDDING, den er zum Abendbrot komplett verschlingt. Als Nachspeise natürlich, vorher gab es einen ganzen Teller voll mit Reis, Geflügelfleisch und Gemüse – noch in pürierter Form. Er hat also richtig „reingehauen“ – so macht man das, wenn man wieder zu Kräften kommen will.
Sehr gut, Samuel! Ich liebe dich, mein Sohn!

ein weites Fenster wird geöffnet (Fr. 27.10.-So. 29.10.2017)

Samuel macht nicht nur kleine Schritte, er macht Sprünge, „Quantensprünge“, wie es ein Pfleger schon häufiger sagte. Das ist alles erstaunlich, gott-lobens-wert, phantastisch… und dennoch: gegen manche Ängste kommt all das nicht an. Ich weiß, dass ich mich hier wiederhole… aber wenn man keine Erfahrung mit all dem hat, baut man auf das, was man sieht – und das ist einerseits (verglichen mit seinem Zustand während der Wochen auf der Intensiv-Station) schon recht viel – und andererseits, verglichen mit seinem Zustand vor dem Unfall, noch immer recht wenig, befremdlich und daher auch beängstigend. Manchmal denke ich in diesen Tagen und Wochen, dass ich jetzt nachempfinden kann, was „manisch-depressive Züge“ sind. Es gibt Momente, da bin ich himmelhochjauchzend jubilierend über die Entwicklungsschritte, die Samuel macht und ich habe quasi die vollständige Genesung greifbar vor Augen, nichts gibt es, was dem entgegensteht. Und dann gibt es Momente wie z.B. Donnerstag Abend, wo wir Samuel im Rollstuhl in den Tagesraum gefahren haben und eine Therapeutin versucht, mit unterschiedlich farbigen Klötzen ein Spiel, ähnlich wie „mensch ärgere dich nicht“ mit Samuel anzuleiern – und es kommt… NICHTS! Keine Reaktion. Kein Kopfdrehen, kein Nicken, kein gezielter Blick, geschweige denn ein Griff zu einer Spielfigur oder mehr. Und das macht mir Angst. Manchmal sind das die Bilder, die Eindrücke, mit denen ich dann nach Hause fahre. Da bin ich dann stumm, in mich gekehrt… und wenn es zum Gespräch mit meiner Frau kommt, kann es schon mal passieren, dass wir beide schlecht schlafen, weil ich sie mit meinen Ängsten eher „anstecke“.
Nach einer solchen Nacht kommt nun also der Freitag. Der beginnt schon mal denkbar schlecht, weil unsere dreijährige Charlotte merkwürdige Pusteln an Händen und Füßen und im Mund hat. Also: Kinderarzt. Diagnose: Hand-Fuß-Mund. Na suuuuuuper. Das Blöde ist gar nicht die Krankheit an sich und auch nicht die Tatsache, dass sie an diesem Freitag nicht in den Kindergarten kann… das Blöde ist, dass diese Geschichte höchst ansteckend ist und eine Inkubationszeit von einigen Tagen hat… D.h. auch wenn Charlotte selbst nicht bei Samuel war… vielleicht hat sie Elisabeth angesteckt und die widerum Samuel…
Und wir sahen uns schon in der misslichen Situation, dass Yvonne gar nicht mehr zu Samuel darf, weil Elisabeth nun auch nicht mehr dort hin darf und dann… hätten wir ein Problem.
Glücklicherweise kam es nicht dazu, dass Elisabeth der Zugang zu Samuel verwehrt wurde – wir mussten nun in diesen Tagen einfach dolle aufpassen, dass wir uns desinfizieren und einfach sehr achtsam mit dem Thema Hygiene umgehen…
Yvonne berichtete mir mittags via whatsapp, dass sie ein gutes Gespräch mit der dortigen Ärztin hatte, auch über unsere Ängste – und dass diese Ärztin auch angeboten hatte, ebenfalls mit mir zu reden.
Ich fuhr so nach Geesthacht, dass ich die Ärztin gerade noch vor Feierabend erwischen konnte – und: es war ein sehr gutes Gespräch! Sie machte mir noch mal deutlich, wie froh wir alle über Samuels Fortschritte sein können und – schlussendlich – kam dann ein Satz, den ich seitdem mit mir trage und wie ein weit geöffnetes Fenster in eine gute Zukunft empfinde: „Ich bin mir recht sicher, dass Ihr Sohn wieder ein fröhliches Schulkind wird!“ Er hat möglicherweise langfristig mit Konzentrationsstörungen zu kämpfen – aber damit könne man ja umgehen….
Auch, wenn niemand zum heutigen Tag sagen kann, wann Samuel wieder soweit hergestellt sein wird, dass er wieder zur Schule gehen kann (ob nach den Weihnachtsferien, ob Ende Februar, ob nach Ostern oder ob noch später…): diese Aussage ist so, dass ich sie wirklich als gute Grundlage für die vielen Kämpfe und die langen Wege nehmen kann, die noch vor uns liegen! Er wird es packen! Keine 100% Garantie, aber doch weit mehr als ein Wunsch, eine „Vermutung“, ein „zuversichtliches Hoffen“. Samuel, wir gehen diesen Weg mit dir und freuen uns auf die Fortschritte, die du machst!
Und so können wir aktuell schon wieder staunen: über Samuels erste Töne! Er spricht JA, zwar noch brüchig, leise, aber doch manchmal schon mit Ton. Wie wunderbar! Er spricht Sätze wie „Ich möchte was essen“ flüsternd, aber doch deutlich vernehmbar. Oh wie wunderbar!
Die große Schwester, Katharina, fährt heute für 4 Tage nach Hanstedt ins „MZ“ (Missionarisches Zentrum), um an einer Kinder-Kurz-Freizeit teilnehmen zu können. Ursprünglich wollte sie zusammen mit Samuel dorthin fahren – wir sind aber froh und dankbar, dass sie dennoch fährt und Lust auf ein paar unbeschwerte Tage in einer guten Atmosphäre hat. (by the way: keine Werbung, aber doch an dieser Stelle der Link zum Haus bzw. zum Verein, der dahinter steht… da das MZ Hanstedt auch für mich schon seit über 30 (!) Jahren ein wichtiger Ort war und geblieben ist: www.fmd-online.de)
Und der Papa nimmt sich abends ein ganz klein wenig Zeit für „kulturelle Zerstreuung“: Eric Wehrlin, ein großartiger christlicher Schauspieler aus Österreich, gastiert in Buxtehude (dortige FeG) mit seiner „Espresso-Bibel“, ein kurzweiliger Gang durch diverse Bibelgeschichten des AT und NT. Ich bin froh, dass ich diesen Abend zusammen mit einem alten Freund aus der Heimat erleben kann – umrahmt von guten Gesprächen mit ihm. Ein toller Abend, wirklich!
Samstag und Sonntag verlaufen relativ unspektakulär – es gibt Sonntags ja auch keine therapeutischen Anwendungen und Samstags auch nur auf Sparflamme. Etwas blöde, denn wir möchten Samuel so gerne helfen, die Magensonde loszuwerden, das klappt aber nur mit genügend Training… Da z.Zt. aber diese Nahrung noch nicht „freigegeben ist“, was bedeutet, dass nur die Logopäden und eben keine Angehörigen oder Pflegekräfte dieses Essen verabreichen dürfen, sind wir ein bisschen in der Warteschleife. Noch mal mehr mit der Aussicht, dass am Dienstag ein Feiertag ist und schon wieder nix passiert, therapeutisch gesehen.
Am Samstag hat Yvonne dann endlich auch mal wieder etwas mit Charlotte unternehmen können – bei Schmuddelwetter zum Kiekeberg, dem Freilichtmuseum. Das tut Charlotte gut und sie tankt dabei richtig auf.
Am Sonntag waren wir zum ersten Mal seit dem Unfall wieder gemeinsam im Gottesdienst – also Yvonne und ich, zusammen mit unseren beiden kleinen Mädchen. Das tat uns allen gut, zumal ja auch in der Gemeinde weiterhin kräftig gebetet wird und nach dem Gottesdienst das eine oder andere einfühlsame Nachfragen da war. Eingebunden zu sein in eine große Gemeinschaft, gemeinsam sich an „Glaube, Hoffnung, Liebe“ auszurichten – das tat gut. Anschließend fuhr Yvonne dann zu Samuel, wo am Vormittag endlich mal wieder seine Patentante Sara sein konnte. Samuel  und ich haben uns an diesem Tag mal ausnahmsweise gar nicht zu Gesicht bekommen – aber, soviel kann ich hier schon verraten: er hat es mir am Montag nicht krumm genommen! 🙂

die nächsten Quantensprünge in Geesthacht (24.-26.10.2017)

An diesem Dienstag wird umgesetzt, was sich gestern schon ankündigte: nach Wochen des Liegens wird es eine erste „Begegnung“ mit dem Rollstuhl geben und damit eine sitzende Position, Beweglichkeit über das Bett hinaus!
Auch wenn Samuels Aufmerksamkeit über die Augen nicht besonders „langlebig“ ist zur Zeit und er also noch wenig von der Umgebung mitbekommt, so ist dies dennoch ein Meilenstein! Um das Ziel Rollstuhl zu erreichen, ist allerdings erstmal das Sitzen an der Bettkante vonnöten und einzuüben – das alleine fordert viel Kraft, denn der Gleichgewichtssinn ist ja doch ziemlich aus der Übung…
Mit den Augen wird versucht, einen Punkt zu fixieren, das Bett wird so weit runter gefahren, dass die Füße den Fußboden spüren können. Nach ein paar Minuten in dieser Position soll er sich aufrichten, möglichst das rechte Bein (das unverletzte) belasten – und dann, nach einem kurzen Steh-Moment, wird er rüber in den Rollstuhl gesetzt. Dort erlebt er ein paar Minuten und dann geht es auch schon wieder zurück ins Bett, wo sich Samuel nach diesem Kraftakt erstmal sichtlich erholen muss und sich auf die Seite dreht.
Nach einer kurzen Verschnaufpause mache ich ein Hörspiel der „Teufelskicker“ an – dank WLAN und Spotify hat man ja nun doch relativ viele Möglichkeiten.
Schön ist an diesem Tag noch, dass die „Empfangsdame“ des Hauses, die uns auch in der ersten Woche rumgeführt hat, sagt: also, ich hab hier ja nix zu sagen – und ich hab ja auch nur „Pudding-Abitur“ (Gymnasium für Hauswirtschaft, falls jemand mit dem Begriff nix anfangen kann), aber wenn Sie mich fragen: „Ihr Sohn geht gesund nach Hause!“
Das nehm ich natürlich gerne mit. Auch wenn ich selbst mir oft nicht vorstellen kann, wie ein oft noch apathisch schauendes Kind wieder „voll da sein soll“ bzw. wie manches, das jetzt offensichtlich nicht mehr ist, wieder wird. Aber gut, dass es eben nicht nur Menschen wie die Empfangsdame gibt, sondern auch Ärzte und Pfleger, die da sehr zuversichtlich sind – und wenn die das sagen!!!…!!!
Am Mittwoch durfte bzw. wollte Katharina mal wieder zu ihrem Bruder – wenn auch nur kurz. Aber diesmal wurde ein selbst gemaltes Türschild mitgebracht, neben dem Schild von Janno, dem Bettnachbarn, was meine Frau noch „auf die Schnelle“ angefertigt hatte. Katharina ist einfach klasse: sie focussiert sich „ganz professionell“ auf all die Dinge, die Samuel zusehends kann – und nicht auf das, was da noch fehlt…
An diesem Tag gab es auch einen rührenden Moment: als seine jüngste Schwester Elisabeth auf seinem Bauch lag und ihn anblubberte und angriente, öffnete er seine Augen und lächelte zurück.
Im Rollstuhl gab es heute ein Lachen und eine erhobene „Mandela-Faust“ – auch bei diesem Anblick lief uns ein Schauer über den Rücken. Es ist Wahnsinn, was Samuel uns zeigt – es ist Wahnsinn, wie uns Gott das Staunen lehrt über seine Taten! Denn davon sind wir zutiefst überzeugt: wir und so viele andere haben für Samuel gebetet und tun es immer noch unablässig – und wir dürfen erleben, wie Gott wirkt, wunderbar, großartig – und wir sind positiv gespannt, welche wunderbaren Momente Gott uns mit Samuel noch schenken wird.
Am Donnerstag gab es tatsächlich dann den nächsten „Quantensprung“: morgens ist Yvonne bei ihm und schickt mir irgendwann ein Foto mit einer krakeligen Schrift, auf der SAMUEL und MAMA zu lesen ist. Okay, an der Linienführung wird noch zu arbeiten sein… 😉 Aber dieses Zeichen ist der Hammer und beeindruckt alle schwer, die mit Samuel zu tun haben. All das geschieht ja auch immer noch unter einer gewissen „Dunstglocke“ der Medikamentengabe, die ihn immer noch schläfrig sein lassen. Oh man, ich bin wirklich mega-beeindruckt: von Gott und von unserem Sohn!
Die Essens-Übungen laufen auch immer besser. Leider gibt es unter den Logopäden unterschiedliche Meinungen… die eine würde am liebsten jetzt schon die Essensgabe „freigeben“, d.h. dass auch Pflegepersonal und Angehörige Breikost und ähnliches geben können – ein wichtiger Schritt hin zum Essen ohne Magensonde. Da gibt es aber wie gesagt unterschiedliche Meinungen – und wir hängen ein bisschen dazwischen.
Nur immer Sondennahrung, zwischendrin mal ein bisschen Babykost… gleichzeitig mehr Beweglichkeit und Muskelaufbau über Physio und Ergo… – das führt zu Gewichtsabnahme… Beim Wiegen wurde festgestellt, dass Samuel nun doch mittlerweile gute 5kg abgenommen hat im Vergleich zum Gewicht vor dem Unfall. Bei nun noch 30kg ist das natürlich kein Pappenstil… Aber es gibt ja die Aussicht auf Gewichtszunahme, wenn die Magensonde endlich… seufz…
Auch die Sprache kommt langsam wieder. Noch lautlos, aber doch deutlich. An diesem Tag ist ein flüsterndes HALLO und ein ebenfalls flüsterndes JA zu hören. Oh, was für eine Freude!
Ich habe in diesen Tagen das Privilleg, mit ein paar guten alten Freunden mich treffen zu können und gute, intensive, tiefgehende Gespräche zu haben. Danke euch! Es ist ja gar nicht immer so, dass ich wesentliche seelsorgerliche Impulse für mich brauche. Oft ist es schlicht und einfach das Verbunden-sein über so lange Zeit hinweg, das sich mit-teilen über persönliche Dinge beider Seiten, das Eintauchen in Themen abseits meines „Samuel-Tunnels“, das „Fachsimpeln über Gott und die Welt“, das einfach gut tut.
Schließen möchte ich heute mit der Losung von Mittwoch, d. 25.10. „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ steht im Buch der Klagelieder 3,26. Und ich merke: ja, das stimmt! Ich würde mich grundsätzlich schon auch als geduldigen Menschen beschreiben, aber in diesen Zeiten bekommt Geduld noch mal eine neue Qualität – und es ist wirklich spannend, zu entdecken, wie Gottes Hilfe zu SEINER Zeit kommt.