die 72 Stunden nach dem Unfall – und ein bisschen mehr…

Vorweg: eigentlich gehört das erste noch zum ersten Tag – aber so durcheinander wie ich war und teilweise immer noch bin, ist vielleicht an manchen Stellen auch der Blog…
Unsere älteste Tochter, Katharina (wird im Dez. 13 Jahre alt) und unsere zweitjüngste, Charlotte (wird im kommenden Mai 4 Jahre alt) waren ja auch in Winsen… hier galt es auch, eine Lösung zu finden. Und wir sind nach wie vor der älteren Schwester von Yvonne, Nicole, unendlich dankbar, dass sie sofort völlig selbstverständlich die beiden Mädchen zu sich nach Neu Wulmstorf geholt hat. Na klar: Katharina hätte noch Schule für den Rest der Woche gehabt. Und: na klar, Charlotte hätte in den Kindergarten gehen können und hat außerdem noch nie in ihrem bisherigen Leben ohne Mama und Papa übernachtet. Aber in dieser Extremsituation hätte Katharina nur schwerlich ihren Schulalltag fortsetzen können und eine andere „kurzfristig dauerhafte“ Lösung für Charlotte als zusammen mit ihrer großen Schwester zur Tante zu ziehen hätte es nicht gegeben – jedenfalls keine, die besser gewesen wäre!
Von daher: die beiden waren versorgt. Zwar auch mit Ängsten und Unsicherheit behaftet, aber sie waren in sicherer Obhut – und wir hatten ein bisschen den Alltagsdruck wegschieben können, weil in Niedersachsen Ferien anstanden. Zwei Wochen Luftholen bis Mitte Oktober…!
Nun denn…
Am Mittwoch morgen galt es, nach einer schwierigen und einigermaßen schlaflosen Nacht, zunächst mal das Allerwichtigste zu planen – wobei uns von Anfang an bewusst war, dass das, was jetzt eingetreten war bzw. kommen würde, so schwer planbar wäre wie nur irgendwas. Aber natürlich war klar: wir wollten wieder zurück zu unserem Sohn und auch wenn wir nicht wussten, wie lange das nun alles gehen würde… wir wollten am liebsten in der Nähe bleiben.
In der Nähe des UKE gibt es das „Ronald Mc-Donald-Gästehaus“ in der Robert-Koch-Straße 20 in Eppendorf, ca. 10-15min. zu Fuß vom UKE entfernt. Dort können Angehörige von Kindern, die im UKE behandelt werden, auf unbefristete Zeit ein kleines Appartment beziehen – und die Kosten werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Eine richtig gute Einrichtung!
Sara (ihr Name wird wohl noch häufiger auftauchen und ich erwähne ab jetzt nicht mehr, dass sie die Patentante von Samuel ist ;-)…) hatte sich für uns eingesetzt und uns morgens bereits mitgeteilt, dass wir dort einziehen könnten.
Nachdem wir also zuhause einiges gepackt hatten, was so für drei bis vier Tage erstmal reichen würde, sind wir los gefahren. Das heißt: vorher bin ich noch in die entgegengesetzte Richtung, nämlich nach Lüneburg, gefahren: zu meinem Hausarzt. In meinem aktuellen Zustand war an Arbeiten nicht zu denken. In mir drehte sich alles, wir wussten nicht, ob unser Sohn vielleicht doch an einer Hirnschwellung sterben würde… – ich hätte nicht im Ansatz gewusst, wie ich hier hätte arbeiten sollen. Vor meinem Arzt brachte ich auch kaum ein Wort heraus, hab während der Fahrt und auch vor Ort eigentlich nur in Tränen aufgelöst dagesessen… – Im Endeffekt ist es so, dass ich (Stand heute) bis Ende Oktober krank geschrieben wurde – ich bin froh und dankbar über den großen Rückhalt und das große Verständnis meines Arbeitgebers und hoffe einfach, dass ab Anfang November zumindest schon eine Richtung deutlich wird, mit der sich ein (Arbeits)Alltag auch wieder angehen lässt. Irgendwann muss es ja wieder los gehen…
Bevor wir los konnten, kam noch die Polizei vorbei, stellte Ermittlungen zum Unfallhergang an. Ein 31 jähriger Passat-Fahrer war der „Unfallgegner“ – selbst stark unter Schock, wie man uns berichtete. Aber polizeiliche Fragen an diesem Vormittag sind eher unter einer „Dunstglocke“ verschwunden…

Danach also nach Hamburg, direkt zum „Ro-Mc-Do-Haus“
(www.mcdonalds-kinderhilfe.org/wie-wir-helfen/ronald-mcdonald-haeuser/hamburg/unser-haus)
wo wir ein Appartment bezogen. Recht schnell hatte sich auch schon „Rika“, die beste Freundin meiner Frau, bereit erklärt, ihren Alltag bzw. auch ihre Berufstätigkeit hinten an zu stellen und zunächst mal voll für meine Frau da zu sein. Yvonne und ich haben uns relativ schnell darauf verständigt, dass es die beste Lösung ist, wenn ich in Winsen (also ZUHAUSE) übernachte und sie eben im RoMcDo, zusammen mit Rika und eben unserer kleinen Elisabeth. Ich selbst habe gemerkt, dass ich den Abstand doch brauche und das gewohnte Umfeld („mein Bett“), um ein wenig abzuschalten – oder auch einfach mal abends noch „alltägliche Dinge“ zu tun, um runterzufahren… Und für Yvonne ist die Nähe wichtig, FALLS etwas sein sollte in der Nacht. Wir können den anderen gut so „lassen“ und es war uns von Anfang an wichtig zu schauen, dass es beiden gut geht. Und wir sind dankbar, dass Rika uns diese Lösung ermöglicht hat, denn alleine hätte ich Yvonne auch nicht lassen mögen, das ist klar.
Aber vor der ersten Nacht in diesem Appartment gab es ja noch den ersten bangen Tag… Samuel kam auf die „Kinder-Herz-Intensiv-Station“, wo er im Zimmer 3 am Fenster lag. Seine Körpertemperatur wurde mit einer Kühlmatte runter gekühlt, er wurde mittels verschiedener Opiate „sediert“ usw. usf. Viele Monitore, Zahlen die uns nichts sagten, Piepen hier, Blinken da… und wir völlig überfordert und fassungslos am Bett unseres Sohnes. Zwischendurch immer mal wieder Gesprächsbrocken mit verständnisvollen Schwestern und kompetenten und einfühlsamen Ärzten und der Ahnung, dass es „eine Gratwanderung zwischen Leben und Tod ist“. Ich hatte in diesen Tagen eigentlich dauerhaft weiche Knie, Magengrummeln, Kopfschmerz, dicke Augen, bleierne Müdigkeit und einfach eine große Leere.
Relativ schnell habe ich relativ viele Menschen von unserer Situation in Kenntnis gesetzt. Ich wollte das einfach teilen: mit Nachbarn, Freunden, Familie, weiterer Bekanntenkreis. Zum einen, weil ich von Anfang an dachte: so ein einschneidendes Erlebnis muss anderen bekannt sein – es ist einfach „schlecht“, hier unvermittelt in „blöde Gesprächssituationen“ zu geraten – und zum anderen dachte ich: ich bin so machtlos – das einzige, was ich tun kann, ist (neben dem, dass ich den Ärzten und Pflegekräften vertrauen will) BETEN! Für Samuel, für uns… – und ich hatte einfach die Hoffnung, dass vielleicht möglichst viele für uns beten – und dass sich das ganz gewiss in unserem Leben zeigen würde! Ich habe schon so oft für andere gebetet und auch gemerkt, wie das Gebet für andere etwas bewirkt – und nun dachte ich, können wir das doch einfach auch mal in Anspruch nehmen.
Und so war es, so ist es auch… auch das werde ich bestimmt immer mal wieder erwähnen: ich bin platt über so viel Anteilnahme und Gebetsunterstützung. Das hilft und stärkt schon jetzt – auch wenn unser Sohn aktuell immer noch in einer kritischen Situation steckt und es uns auch heute immer noch in regelmäßigen Abständen den Boden unter den Füßen wegzieht. Aber ich wüsste nicht, wie es ohne Gebete wäre…
Zurück zum „Tagesgeschehen“. Man sagte uns an dem Mittwoch, dass sein Zustand kritisch sei, man aber diese Phase mit verschiedenen Medikamenten, die alle aufeinander abgestimmt sind, versucht, im Griff zu behalten. Dennoch: eine Gewissheit, dass Samuel am Leben bleibt, konnte uns keiner geben.
Wir waren wie gelähmt.
Und es kreisten die Gedanken: was ist, wenn er stirbt? Was ist, wenn er nur als schwerstbehinderter Pflegefall weiter“leben“ kann? Ich konnte und wollte das alles nicht wahrhaben, musste dieser Realität aber doch ins Auge schauen. Eine Realität, die mir, die uns abverlangt hatte, wirklich von Tag zu Tag zu schauen. Nicht zu wissen: was ist in ein paar Tagen, Wochen, Monaten…?!? Und das ist zermarternd.
Außerdem: oft kam die Frage: wie geht es Samuel? Ich fühlte mich außerstande, diese Frage zu beantworten. Sicher, ich konnte beschreiben, wie es um ihn steht, was mit ihm gemacht wird, wie er aussieht, was medizinisch abläuft… aber wie es ihm geht?!? Woher sollte ich das wissen? Ich konnte ja nicht mehr mit ihm sprechen oder irgendwie sonst Kontakt aufbauen… Wir hatten in diesen Tagen oft die Hoffnung, dass er in seinem Träumeland eigentlich gerade eine richtig gute Zeit hat: Fußball mit Freunden spielt, lacht, Musik macht… eben all die Dinge, die sein Leben so schön und lebenswert gemacht haben – bis jetzt… Aber wirklich wissen, wie es ihm geht… das konnte ich nicht. Ich habe oft an seinem Bett gestanden und mit ihm gesprochen oder ihn mir gedanklich auf meinen Schoß gesetzt, ihm über sein Haar gestrichen, mit ihm gekuschelt – und irgendwie gehofft, dass diese Dinge vielleicht zu ihm dringen, ihn berühren, ihn beruhigen, ihn erreichen… tief drin. Habe ihm „der Mond ist aufgegangen“ vorgesungen wie so viele tausend Male abends an seinem Bett zu Hause, habe mit ihm gebetet, ihm ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und Shalom gesagt, so wie wir das immer tun, bevor es zur Schule geht… irgendwie versucht, Vertrautes in diese grauenvolle ungewisse Situation zu bringen…
Und abends sind wir dann gegen 21h aus der Klinik. Nicht wissend, was morgen wird, irgendwie versuchend, Schlaf zu bekommen…

Der Donnerstag verlief aus meiner Erinnerung ähnlich wie der Mittwoch. Ein Tag zwischen Hoffen und Bangen, wieder mit vielen mitfühlenden und „gebetsversichernden“ Rückmeldungen, aber auch ein Tag, von dem man nicht behaupten konnte, dass er Stabilisierung bringen würde oder die Aussicht, Samuel sei außer Lebensgefahr…
Allerdings gab es in diesen Tagen auch schon Ultraschall- und CT-Aufnahmen des Gehirns (den genauen Tag kann ich nicht mehr sagen). Dort wurden Einblutungen festgestellt, also kleine Schädigungen des Gehirns. Allerdings nichts „irreversibles“, wie uns gesagt wurde, also keine so gravierenden Schäden, dass man von vornherein davon ausgehen könnte, dass der eine oder andere Bereich unwiderbringlich geschädigt wurde. Das waren ja doch schon einigermaßen gute und beruhigende Nachrichten, aber trotzdem keine Garantie – für nichts…

Es wurde Abend, es wurde Nacht, es wurde Morgen – der Freitag war da. Wir hatten in diesen Tag große Hoffnungen gesetzt: man sagt, 72 Stunden nach dem Unfall sei die größte Gefahr gebannt, wenn sich bis dahin kein Ödem gebildet hat, wird die Gefahr immer geringer….

Der Hirndruckwert eines gesunden Menschen ist normalerweise irgendwo zwischen 0-10. Kurzzeitig (etwa beim Niesen) kann das schon mal über 50 ansteigen, aber dann geht es schnell wieder in den Normbereich zurück. Bei Menschen mit einem SHT (Schädel-Hirn-Trauma) kann es passieren, dass der Hirndruck über 20 ansteigt und dort verbleibt – und dann wird es kritisch, bedrohlich, lebensgefährlich.

Die 72 Stunden wären am Freitag gegen 16h rum. Am Freitag mittag war sein Wert irgendwo zwischen 7-10. Wir waren schon am Jubeln – und sind ausgiebig frühstücken gegangen, in der guten Hoffnung, dass nun das Schlimmste überstanden sei und die Lebensgefahr gebannt sein würde.
In der Apotheke besorgten wir derweil schon eine Salbe zur Narbenpflege – wir waren nicht nur optimistisch, wir waren euphorisch… und sehr guter Dinge.

Am Abend wollten wir ihm noch gute Nacht sagen und miteinander feiern, dass wir nun „die nächste Stufe“ erreicht hätten. Auf dem Weg zur Intensivstation wurden wir vom Neurochirurgen Dr. Emami abgefangen, der uns erklärte, dass man bei Samuel eine unnatürliche Erweiterung der Pupillen festgestellt hatte – eine Erweiterung, die auch unterschiedlich groß sei… – und solche Erweiterungen deuten eigentlich immer auf eine große Schädigung des Gehirns hin. So sollte noch mal ein CT gemacht werden – und wenn dieses eine unnatürliche Erweiterung des Gehirns zeigen würde, müsse man „zur letzten Patrone“ greifen und den Schädel operativ öffnen. Ich erspare hier die Einzelheiten, aber so ein Eingriff wäre nicht ohne Risiken – und eigentlich etwas, was man auf jeden Fall vermeiden wolle…

Nach einer Stunde bangen Wartens (wir hatten wieder mal das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen) kam dann die Rückmeldung: weder CT noch Ultraschall hätten eine Veränderung gezeigt – deshalb würde man aktuell auf eine OP verzichten. Wenn sich jedoch in der Nacht die kleinste Unsicherheit zeigen würde, würde man einen solchen Eingriff machen müssen.

Als Erklärung wurde noch nachgeschoben: es könnte sein, dass sich im Zuge eines Medikamentenwechsels am Nachmittag, als der Kreislauf „abschmierte“, der Hirndruck unter Stress erhöhte und dies zur Erweiterung der Pupillen führte… Der Druck sei dann zurück gegangen – und manchmal sind die Sehnerven dann so „nachhaltig beeinträchtigt“, dass sich die Pupillen erst nach Tagen wieder zurück bilden, ohne wirklich einen Schaden zu haben…

Ich weiß nicht, wie wir in dieser Nacht in den Schlaf gefunden haben bzw. wie wir überhaupt schlafen konnten.

Ich weiß nur: am Samstag morgen kam die erlösende Nachricht: der Pupillendruck hat sich wieder normalisiert und es gab keine Komplikationen in der Nacht.

Aber dieser Horrortrip der ersten 72 (+12) Stunden ist wirklich unvergleichlich grausam. Ich weiß nicht, was noch grausamer sein kann… Zu befürchten, dass das eigene Kind stirbt, nichts zu wissen, immer diesen Tanz auf der Rasierklinge hin und her zu erleben… das reibt auf, das ist seelische Folter.

Gut war in diesen Tagen (ich mag mich wiederholen), dass wir viele Menschen an unserer Seite hatten, die uns Mut und Zuversicht gegeben haben, die für uns und mit uns gebetet haben, die uns in den Arm nahmen, einfach so…
Gut war, dass wir uns hatten und haben: Yvonne und ich! Keine Vorwürfe aneinander (wofür denn auch), sondern sich gegenseitig halten und tragen, auch wenn man eigentlich selbst Halt braucht und getragen werden möchte… aber miteinander füreinander da zu sein, das war (und ist) ein sehr starkes und gutes Gefühl!

Und gut war (und gut ist), dass Worte – Hoffnungsworte – aus der Bibel ganz neu „getroffen“ haben. Wie oft habe ich in diesen Tagen die Losungsworte als für mich und uns passend empfinden dürfen! Wie oft habe ich mich abends mit der Gitarre hingesetzt und (oft unter Tränen) Hoffnungslieder gegen die eigene Verzweiflung gegenan gesungen.
Gott geht mit. Gott wirkt. „God is in control“. Das kann ich nicht begreifen, aber ich kann es erleben, gerade in diesen Zeiten.

der 26.9.2017 als plötzliche „Stop-Taste“ in Samuels Leben – der Tag des Unfalls

So sagt es der Polizeibericht:
http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/59458/3746059
so schreibt es das Abendblatt:
https://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article212064769/Kind-schwebt-nach-Unfall-in-Lebensgefahr.html
und so die Lüneburger Landeszeitung:
https://www.landeszeitung.de/blog/lokales/1088701-winsen-kind-bei-verkehrsunfall-lebensgefaehrlich-verletzt
solche Artikel sind mir im Laufe des Lebens schon x-mal als Zeitungsleser begegnet, manchmal schon kam ein flüchtiger Gedanke „WIE SCHRECKLICH“… aber dieses eine Mal war es der Bericht über den persönlichen Albtraum von Eltern, Geschwistern, Großeltern, Freunden, Paten, Nachbarn, Schulkameraden usw. – der Bericht über den Unfall unseres (!!!) Sohnes.
Ich selbst war zum Zeitpunkt des Geschehens in Hamburg, in meinem Büro der St. Lukas Kirchengemeinde in Fuhlsbüttel. Yvonne, meine Frau, war gerade in der Stadt (Winsen) unterwegs, um Besorgungen zu machen. Katharina, die ältere Schwester, war auch unterwegs – sie hatte Konfirmandenunterricht. Und Charlotte, die dreijährige Schwester spielte im Garten, zusammen mit dem Nachbarsjungen und dessen Mama, Sabrina.
Was sich genau ereignet hat, kann man nur rekonstruieren. Samuel wird es uns nicht mehr berichten können, da davon auszugehen ist, dass er keine Erinnerung an diese Momente behalten wird. Was wir ahnen, ist:
seine Freunde waren vor unserem Haus an der Hoopter Straße. Er wollte mit seinem Fahrrad wohl zu seinen Freunden und ist dabei, ohne vom Fahrrad abzusteigen, unvermittelt auf die Hoopter Straße gefahren. Sein Glück: er hatte einen Helm auf, sonst wäre es wohl definitiv tödlich ausgegangen.
Aus Fahrtrichtung Stöckte kam ein VW Passat, der ihn nicht gesehen hat – und Samuel hat (warum auch immer…) das Auto nicht bemerkt, so dass es zum Zusammenstoß kam. Dabei ist unser Kind mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt und von dort im hohen Bogen mitsamt Fahrrad über die Straße geflogen, wo er in der Nähe des Kantsteins liegen blieb.
Glücklicherweise ist in diesem Moment kein Auto aus der Gegenrichtung gekommen, das ihn wohlmöglich direkt noch mal überrollt hätte… es wäre nicht auszudenken gewesen…
Und auch „zum Glück“ war unser Nachbar von Gegenüber, ein erfahrener Ersthelfer, sofort zur Stelle! Die Nachbarin, die mit ihrem Sohn bei Charlotte in unserem Garten war, war auch recht schnell zur Stelle und rief nach dem RTW sowohl mich als auch Yvonne an, so dass wir umgehend informiert waren.
In Minutenschnelle war der RTW zur Stelle und wenige Minuten später auch schon der Hubschrauber, der Samuel umgehend zum UKE nach HH-Eppendorf flog.
Oftmals ärgere ich mich über den weiten Weg von zuhause zur Gemeinde, in der ich arbeite… aber in diesem Fall war es gut, dass ich in HH war – so konnte ich recht schnell am UKE sein, noch vor dem Hubschrauber.
Yvonne, natürlich unter Schock, konnte aufgrund unseres Babys (Elisabeth, sie wurde an diesem Tag ein halbes Jahr alt) weder im Hubschrauber mitfliegen, noch wäre sie in der Lage gewesen, selbst Auto zu fahren… – sie wurde von einer Frau, die zufällig in der Nähe des Geschehens war, in unserem Auto zum UKE gefahren, zusammen mit unserer Kleinsten…
Die Stunden, die dann folgten, kann ich nur noch unter einer „Schock-Glocke“ erinnern:
– das Irren über das riesige UKE-Gelände, um die Notaufnahme zu finden…
– das auf- und ab Laufen vor dem Notaufnahme-Bereich wie ein Tiger im Käfig, unruhig wartend auf unseren Sohn, auf Ärzte, die etwas dazu sagen können, auf meine Frau…
– die ersten Informationen: „er hat ein schweres Trauma erlitten“, er hat Brüche erlitten… des linken Unterschenkels, des linken Schlüsselbeins, der Schädelbasis… er wird gleich operiert… – und das alles, ohne ihn bis dahin ein einziges Mal gesehen zu haben; nur Worte waren es, die mir das alles beschrieben, was passiert war; dazu gesellten sich Bilder in meinem Kopf, von denen ich nicht wusste, wie real sie sein würden
– das Eintreffen meiner unter Schock stehenden Frau mit unserer Kleinsten, der Versuch des Zuspruchs einer ehrenamtlichen Helferin, die uns erstmal warme Vanille-Milch anbot, das Eintreffen von Samuels Patentante Sara, die seit diesem Moment ganz nah an uns und an Samuel blieb (dazu später noch mehr), die zufällige Begegnung mit einer ehemaligen Nachbarin, die als Polizistin arbeitet und gerade in dem Moment einen Einsatz hatte und völlig perplex war, uns dort zu treffen
– das anschließende lange Warten im Warteraum vor der Kinder-Intensiv-Station, ein Ort, der in der nächsten Zeit eine Art zweites Zuhause werden würde
– das Vorbeischauen meiner Eltern, der besten Freundin meiner Frau, Samuels Patentante Sara – das alles tat gut, hat mich aber auch nur „irgendwie“ erreicht…
– die ersten bangen Minuten am Bett unseres Sohnes, der völlig verkabelt schon im künstlichen Tiefschlaf war, intubiert (beatmet), mit verbundenem Bein, einer Sonde im Kopf… – unser lebendiger, sportlich, musikalischer Samuel, vor einigen Stunden noch fröhlich mit seinen Freunden spielte, nun also offensichtlich IN LEBENSGEFAHR!
IN LEBENSGEFAHR! Diese Worte hallten nach und drangen immer tiefer in mein Bewusstsein. Kein normaler Unfall, der nach einigen Tagen Krankenhaus wieder ins normale Leben führt, sondern eine lebensgefährliche Kopfverletzung mit unabsehbaren Folgen, selbst im „Überlebens-Fall“…
Ich selbst war noch viel zu geschockt, um zu weinen, konnte das alles noch gar nicht begreifen. Aber die Ahnung, dass wir vielleicht unseren Sohn verlieren, wenn der Druck im Hirn zu stark steigt und sich ein Ödem bildet, durch das dann der Hirntod eintreten würde… diese Ahnung schlich sich nicht nur in meinen Kopf, sondern auch in mein Herz, in meinen Bauch, in meine Beine…

Und es war nicht leicht, in dieser Situation eine Entscheidung zu treffen: sollen wir an seinem Bett wachen? Wird auf der Intensiv-Station nicht gerne gesehen…
Können wir irgendwo in der Nähe übernachten? Es hätte Möglichkeiten gegeben, aber ob wir dort zur Ruhe gekommen wären?…
Wir entschieden uns, trotz der Entfernung von Winsen zum UKE (45min. mit dem Auto) nach Hause zu fahren, um ein bisschen Kraft zu tanken. In einer dringenden Notsituation hätten wir einen Anruf bekommen und wären sofort wieder zur Klinik gefahren.
Diese Autofahrt war alles andere als leicht. Yvonne und ich hatten beide Schocksymptome… aber irgendwie sind wir in Winsen angekommen…
Und irgendwie schliefen wir auch in dieser Nacht. Nicht gut, nicht viel, aber irgendwie doch ein bisschen… bis der neue Tag begann, der 27.9. …

der 26.9.2017 als „plötzliche Stop-Taste“ in Samuels Leben – eine Art Vorwort

in diesem Blog will ich versuchen, aus meiner Sicht – der Sicht des Papas unseres wundervollen Sohnes Samuel (geb. 18.01.2006) das zu schildern, was seit dem 26.9.2017 in seinem und unserem (Familien)Leben passiert ist. Wir sind überwältigt von der Anteilnahme seither, von vielen Hilfsangeboten und Gebetszusagen, guten Worten, Umarmungen und und und… – und da es viele Kanäle gibt, wo immer mal wieder nachgefragt bzw. von mir berichtet wurde, hab ich mich entschlossen, diesen Blog zu starten.

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