Ursprünglich dachte ich: wenn ich wieder arbeite – also ab Dezember – könnte ich ja montags nachmittags zu Samuel, da ich montags home-office habe und nicht nach HH fahren muss. Dann könnte ich mir das so einrichten. Aber die Theorie hatte nicht das Faktum „Advent“ mit einbezogen… So kommt es, dass ich in diesem Dezember zwar montags zu Samuel fahre, aber doch mit weitaus weniger Zeit ausgestattet als eigentlich geplant. Es ist ja ein Heiligabend-Gottesdienst vorzubereiten, der ganz normale Kram läuft in dieser Woche auch noch weiter (Gruppen, Konfis usw.) und dann steht am Freitag noch „Kinder warten auf Weihnachten“ an, eine riesen „Bespaßung“ für ca. 50 Kinder, mit Basteln, Backen, Spielen usw. für die ich hauptverantwortlich bin. Ich mach das gerne, auch wenn ich mich jedes Jahr frage, ob ich eigentlich bescheuert bin, freiwillig mir kurz vor Weihnachten noch mehr aufzuladen. Denn der normale Familienweihnachtsvorbereitungsstress steht ja auch noch an. By the way: ich freu mich immer total über die Weihnachtspost, die ich bzw. die wir von anderen bekommen – ich frag mich aber schon seit einiger Zeit, wie man sowas auch noch im Advent unterkriegt. Mir ist das schleierhaft. Whatsapp sei Dank kann man fotografische und einigermaßen persönliche Grüße ja auch kurzfristig über Weihnachten versenden. Das ist dann meine Art, hier „tätig“ zu werden…
Aber Stress hin oder her: auch an diesem Montag verbringen wir ein bisschen „Quality time“. Ich komme um 13.30h – und bis zu seinem nächsten Therapie-Termin um halb vier haben wir nur gute zwei Stunden. (dann muss ich auch schon wieder aufbrechen).
In diesen zwei Stunden düsen wir kurzerhand zum Bergedorfer Weihnachtsmarkt (Schloss-Insel). Einfach schön! Schmalzgebäck, ne Runde mit dem Kinder-Karussell (bei dem er erstmal diverse Fahrvarianten ausprobieren musste, um festzustellen, dass das ja alles eher für kleine Kinder gedacht ist und er eigentlich nirgendwo mehr reinpasst… – am Ende ist es ein Motorrad geworden, wo seine Beine „frei schwingen“ können…) und ne Portion holländische Pommes! Einfach ein bisschen Stimmung einfangen… und nach ner intensiven Stunde wieder zurück. Ach das war schön! Ja, es ist schon komisch, dass Samuel sich wieder so kindlich über ein Kinderkarussell freut – das wäre vor seinem Unfall unter seiner „vorpubertären Würde“ gewesen… Nun ist er ja weitestgehend wieder hergestellt, aber sein Gemüt hinkt altersmäßig noch etwas hinterher, was man auch an solchen Momenten merkt. Aber das ist nicht schlimm. Etwas befremdlich vielleicht im ersten Moment – vor allem für Menschen, die ihn und seine Geschichte nicht kennen – aber letztlich: so what?! Die Zeit wird wieder kommen, wo er keinen Bock mehr auf solcherlei Belustigungen hat und seinen kleinen Schwestern hier selbstverständlich das Feld überlässt.
Beim Zurückfahren besprechen wir noch eine Idee für die verbleibende Zeit in Geesthacht: so wie in der Schule könnte er auch in Geesthacht ein „Logbuch“ führen – eine Art Tagebuch über Dinge, die er erlebt. In der IGS ist das dann Fächer-bezogen und nimmt auch Themen wie „wie fühlte ich mich heute?“ „welche Ziele setze ich mir?“ „welche Aufgaben habe ich zu erledigen?“ mit rein. Das könnte dann entsprechend für seine Erlebnisse in den unterschiedlichen Therapien gemacht werden. Das hilft ihm dann, Dinge zu verschriftlichen bzw. zu formulieren; Dinge zu „archivieren“ und sie später dann zu erinnern – und eben auch uns, die wir ja oft bei den Therapien nicht dabei sind, seine Sicht der Dinge/ des Erlebten etwas intensiver wahrnehmen zu können. Wir werden das mal angehen… 😉
Die Visite an diesem Dienstag ist ohne nennenswerte Rückmeldungen. Yvonne ist da und trägt sich mit dem Gedanken, abends zum „gute Nacht-sagen“ noch mal wiederzukommen. Hat aber auch Stress. Sie teilt ihre Überlegungen mit unserem Sohn – und Samuel reagiert ganz „typisch“: er sagt: Mama, Du brauchst heute nicht wiederkommen, mir geht es doch gut hier – und du hast so viel zu tun mit Weihnachten. Fahr du mal in Ruhe nach Hause und mach, was dran ist.
Der Junge ist einfach cool!
Am Abend komme ich nach meinen Terminen in HH noch kurz bei ihm vorbei und kaum auf Station muss ich mir berichten lassen, dass er schon schlafen würde – und dass er am Nachmittag wieder über Übelkeit geklagt hätte und sich leider auch wieder übergeben musste. Ich geh noch kurz zu ihm rein und streichle ihm über den Kopf, sag ihm gute Nacht und fahre dann auch wieder weiter. Mit mir reisen meine Gedanken und Sorgen: zum zweiten Mal innerhalb von 10 Tagen Kopfweh und Übelkeit… ist das jetzt doch eine Unfallfolge bzw. neurologischen Ursprungs? Hmmm… aber auf Station wurde gesagt, man hätte ihn erneut untersucht und wieder nichts besorgniserregendes feststellen können. Man müsse den nächsten Tag abwarten…
Am Mittwoch morgen rufe ich gleich auf Station an – Samuel ist wieder quietschfidel und ohne Einschränkungen. Er ißt, tobt, spricht wieder viel und auch sonst ist alles gut. Puh… Mir war abends noch aufgefallen, dass diverse Chipstüten offen lagen und auch Schokolade wohl reichlich verzehrt worden ist… Von daher ist vielleicht auch die kurzzeitige Übelkeit zu betrachten. Und was die Kopfweh angeht… es deutet sich ein leichter Infekt bei Samuel an. Er spricht mit einem „dicken Hals“, hat Schnupfen… Da kann auch ein leichter Kopfschmerz mal dazu kommen…
An diesem Tag gibt es einen kurzen „gute-Nacht-Besuch“ von Mama. Ohne Elisabeth, die bleibt derweil bei der Babysitterin. So ein Kurzbesuch ist für Yvonne auch Stress pur – auch wenn sie merkt, dass sie ohne Elisabeth noch mal ganz anders Zeit für unseren Sohn hat. Er wird geduscht (das lässt er wohl offensichtlich nicht durch das Pflegepersonal mit sich machen – da geniert sich der junge Herr…)
Zum Donnerstag will ich nur kurz erwähnen, dass ich an diesem Tag einen „formlosen Antrag“ auf Hausunterricht bei der Schule gestellt habe – der Klassenlehrer hatte mich darauf hingewiesen, dass das nötig sei. Die Ärztin in Geesthacht meinte daraufhin, dass sie das bei Samuel so nicht sieht: er wird in Geesthacht fit gemacht, damit er bald nach Hause kommt und dann eben auch wieder zur Schule gehen kann. Das hat sie auch so „zielgerichtet und zuversichtlich“ ausgedrückt, dass das für uns wieder mal ein Mutmacher auf dem Weg gewesen ist. Ja, auch in dieser Woche gibt es viele positive Rückmeldungen der Therapeuten, Ärzte und Pfleger – wir freuen uns einfach so sehr, dass das alles so weiter geht und sind gewiss, dass der Weg noch viele Entwicklungsschritte bereit hält, die uns froh machen und ihn wieder mehr und mehr zu dem, der er auch vorher gewesen ist.
Abends bin ich noch kurz bei ihm und habe meine Gitarre dabei: wir singen eine gute halbe Stunde Weihnachtslieder – Advents- und Weihnachts-Klassiker aus Kirche und Jungschar. Er singt viel mit, lächelt fröhlich – und im Hintergrund kommen immer mal wieder andere Kinder von Station oder auch Pflegepersonal: sie stecken ihre Köpfe kurz ins Zimmer, freuen sich über die Klänge und den Gesang – und so ist auch auf dieser Station ein bisschen Weihnachtsfreude zu spüren…
3x werden wir noch wach, Heißa, dann ist Weihnachtstag. Oder auch: 2x wird Samuel noch wach, HEISSA, dann ist „nach Hause fahren und zu Hause übernachten“ angesagt. Wir können es alle kaum abwarten…
