Die ruhigste Woche des Jahres (25.12.-28.12.2017)

Heiligabend ist vorüber. Oder wie Karl Valentin es ausdrückte: „Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger“. Das ist wirklich immer wieder erstaunlich: das ganze Gehetze & Vorbereiten, sowohl privat/familiär als auch beruflich, gerade wenn man wie ich dafür sorgen möchte, dass Menschen die Botschaft von Advent und Weihnachten auch „ansprechend hören/ erleben können“ – und wenn dann Heiligabend rum ist, wird es auf mal ganz ruhig. So ist der erste Weihnachtsfeiertag bei uns schon seit ein paar Jahren mehr oder weniger „traditionell“ ein „Schlafanzug-Tag“. Der erste Tag seit dem Unfall (bzw. auch schon seit einigen Tagen davor…), wo wir alle zuhause sind und nirgendwo hinfahren müssen. Die Autos bleiben einfach stehen, es kommt kein Besuch, wir wollen niemanden besuchen usw. Einfach Kraft tanken. Und das haben wir natürlich in diesem Jahr besonders gemerkt. Wie viele Kilometer haben wir seit Ende September abgerissen, wie viel Anspannung war täglich, wöchentlich, über Monate vorhanden… – und jetzt darf das einfach „abfallen“. Nicht nur für uns Eltern, sondern eben auch für Samuel selbst war das spürbar und tat einfach gut. So gibt es aus diesem Tag eigentlich auch nicht viel zu berichten, wir haben schlichtweg „Zeit verdödelt“. Naja, doch – was wir genießen an diesem ersten Weihnachtstag, ist: in Ruhe Weihnachtspost lesen und uns wirklich auch noch wahnsinnig über kleine und größere Weihnachtspäckchen für die Kinder bzw. für die ganze Familie zu freuen. Ein paar Telefonate mit Freunden haben. Das war schon echt schön. Essensmäßig ist nach der Völlerei am Heiligabend ohnehin nur Reste-Verwertung dran. Ansonsten: gemeinsames spielen, kuscheln, herumlungern, Glotze checken… Und Samuel ist mittlerweile auch schon wieder so richtig „Handy-kommunikativ“: er schickt Sprachnachrichten, kleine Text-Botschaften, macht Video-Telefonate mit einem Freund – und wir freuen uns, dass er auch auf diese Weise wieder deutlicher zeigt, wie sehr er eben auch schon wieder „gesellschaftsfähig und gesellschaftswillig“ ist.
Nachdem in der Nacht zu  Heiligabend Gäste bei uns waren, und Samuel notgedrungen in Katharinas Zimmer mit übernachten musste, wollte er dann in der Nacht zum ersten Weihnachtstag weiterhin bei Katharina schlafen –  und nun, in der Nacht zum zweiten Weihnachtstag, war tatsächlich Premiere: nach exakt 3 Monaten schlief er wieder IN SEINEM EIGENEN BETT, IN SEINEM ZIMMER! Whow! Am Dienstag morgen sagte er: es fühlte sich an, als hätte ich zum ersten Mal in diesem Bett geschlafen…

Dienstag – der 2. Weihnachtsfeiertag – ist Besuch bei meinen Eltern angesagt. Auch mein Bruder ist aus Düsseldorf zusammen mit seiner Frau und seinem knapp 2Jahre alten Sohn angereist. Vor ein paar Wochen waren wir uns noch überhaupt nicht sicher, ob das mit Samuel (gut) gehen würde… ob er das schon packt, so einen ganztägigen Besuch… wie er sich (ver)hält, auch anderen gegenüber, die vielleicht ein Bild von ihm haben, das nicht der aktuellen Situation entspricht und er damit vielleicht auch überfordert sein könnte… Aber: es war tatsächlich WIE IMMER! Unglaublich schön, wie sehr unser Sohn sich auch an diesem Tag im Grunde völlig normal verhalten hat, normal kommunizieren konnte… für mich, für uns tatsächlich immer noch ein Wunder!
by the way: normalerweise gehört der Gottesdienst-Besuch am 2. Weihnachtsfeiertag zumindest für mich zum „Standard“ – die beiden Großen bleiben dann meistens zu Hause und nur wir Eltern gehen dann mit dem „Kleingemüse“ dorthin. Aber in diesem Jahr war mein Erholungsbedürfnis noch größer als die Sehnsucht, pünktlich um 10h im Gottesdienst zu sein. Postsermonale Erschöpfung, so wird dieses Syndrom in klerikalen Fachkreisen wohl genannt… 😉
Was an diesem 26.12., drei Monate nach dem Unfall, allerdings noch stattfand, bevor wir nach Selsingen fuhren: ich machte „online“ einen Familienurlaub nach Kreta für 2018 klar! Abflug am 26.9.2018, also exakt ein Jahr nach Samuels Unfall. Das war gar nicht gezielt so ausgesucht, aber hatte sich so ergeben und ist natürlich ein starkes Zeichen. Wir sind eigentlich überhaupt keine „Pauschal-Urlauber“, lieben individuell gestalteten Urlaub in der Ferienwohnung, mit eigenem (oder Miet)Auto, vorzugsweise auf „unserem“ geliebten Steiertbartlehof im Schwarzwald (Nahe Freiburg i.Br.). Aber dieses Mal sollte es was anderes sein. Etwas, wo wir uns einfach mal bedienen und verwöhnen lassen. Mal schauen, wie das wird… 😉
Und dann also der Besuch in Selsingen: natürlich stand bei diesem Besuch auch die kulinarische Verwöhnung im Vordergrund… Ente, Rotkohl, Klöße. Eis… Nachmittags Kuchen.
„Was hast du zu Weihnachten bekommen?“ – „Eine Wampe“!
Wie wahr…
Samuel haute auch hier nach Herzenslust rein – es sei ihm natürlich gegönnt!
Nach dem Abendessen fuhren wir zurück nach Winsen, schmissen die 4 Frauen (Yvonne, Katharina, Charlotte und Elisabeth) aus dem Auto und düsten weiter nach Geesthacht. Das war schon ein „schwerer Weg“, nach 4 Tagen Normalität nun wieder in die Reha-Klinik zu fahren. Aber: er hatte sein neues Kissen eingepackt UND: es sollten ja nur drei Tage mit Therapien sein, in denen er nicht @home ist: am Samstag geht es ja schon wieder für drei Tage zurück zu uns! In Geesthacht angekommen, machten wir dann auch nicht viel „Gedöns“ um die Tatsache, dass es jetzt wieder ans Abschiednehmen geht… ich wartete noch ab, bis er „bettfertig“ war, packte mit ihm noch die Klamotten für den nächsten Tag raus, wir schauten uns noch den Therapieplan an und dann legte er sich auf sein Bett mit seinem eigenen neuen Kissen. Wir beteten noch zusammen, ich sang noch ein Weihnachtslied – und dann wollte ich gerade „TSCHÜSS“ sagen, als er mich bat, noch mal die Fernbedienung für seinen Fernseher zu organisieren. Okay, mach ich… und ich dachte mir: vielleicht ist das auch ganz gut jetzt. Dann ist er ein bisschen abgelenkt, wenn ich fahre. Sinnigerweise blieb er bei einem Film hängen, den wir als Familie schon mal vor einer Weile geguckt haben: „Honig im Kopf“, ein rührender Film mit Til Schweiger und Didi Hallervorden, bei dem es um einen dementen alten Mann geht. Und Samuel lachte immer in sich rein, wenn „Didi“ irgendwas vertüdelte… Das ist schon auch einfach „lustig-schön“ in seiner, in unserer Situation! Gute Nacht, mein Sohn!

Von diesem Mittwoch gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Es gab halt wieder Therapien und nachmittags fuhr ich dann zu Samuel. Spannend fanden wir, dass er Abends noch zu Hause anrief und meinte: „Mama, morgen habe ich um 14h meine letzte Therapie – dann kannst du ja um 14.30h schon da sein“. Es ist auch hier wieder das schöne Alltägliche, das uns erfreut: er ist in der Lage, voraus zu denken & zu planen, sich wieder gut zu orientieren auch im Zeitplan.
Als ich nachmittags zu ihm komme, ist er mit vielen anderen Kinunterwegs im „Bewegungsraum“, spielt Fußball usw. Das ist völlig okay, ich lasse ihm die Zeit und klöne derweil noch ein bisschen mit dem Stationspersonal, die mir auch berichten, wie froh-erstaunt sie über Samuels jüngste kognitive Entwicklung sind. Als er wieder kommt, berichtet er mir von Stress und Streitigkeiten unter den Jungs (also Samuel ist auch involviert). Natürlich wird darüber zu reden sein und die Jungs haben es auch nicht nur friedlich gelöst… auf der anderen Seite denke ich: es ist auch gut, wenn Emotionen wie Wut wieder kommen und sich bei Samuel zeigen. „Das darf alles sein“ hätte meine frühere Psychologie-Dozentin Elisabeth Schwarz jetzt wohl gesagt. Und sie hätte Recht damit!
Heute zieht Samuel es vor, nicht mit den anderen Kindern zusammen in der Essensgruppe zu sein, sondern er möchte mit Papa Abendbrot essen. Das ist auch okay! Im Speisesaal treffen wir den Jungen aus seinem Nachbarzimmer zusammen mit seinem Papa und klönen noch ein bisschen über die zurückliegenden Weihnachtstage. Einfach schön 🙂
An diesem Mittwoch-Abend fällt Samuel das Abschied-nehmen noch schwerer als am Tag vorher und er „verhandelt“ mit mir darüber, ob ich nicht vielleicht doch dauerhaft für den Rest seines Aufenthalts in Geesthacht mit ihm zusammen in seinem Zimmer schlafen könnte. Andere Eltern würden das ja schließlich auch tun…. Ich finde wohl irgendwann doch die richtigen Argumente und dann lässt er mich ziehen. Keine leichten Momente, wirklich nicht. Aber da müssen wir alle (immer wieder wohl) durch…

Der Donnerstag ist ein ganz unspektakulärer „Geesthacht-Tag“. Allerdings fand eine Therapie schon zum letzten Mal statt: die Logotherapie! Hier ist kein weiterer Entwicklungsbedarf bei Samuel und deshalb kann hier schon ein Haken gesetzt werden. Whow! Des Weiteren bekommt Yvonne die Info, dass im neuen Jahr recht bald der Übergang in die nächste Behandlungsphase erfolgen kann – nach der Akut-Phase (A), in der eben auch keine Übernachtungen zu Hause erlaubt sind (normalerweise…) und in der auch überwiegend Einzeltherapien stattfinden, wird Samuel dann in Phase B kommen, in der überwiegend Gruppentherapie stattfindet und in der das Übernachten Zuhause am Wochenende durchaus eher die „Norm“ ist. Es gibt insgesamt 4 Phasen (also noch C und D), wobei nicht jedes Kind auch Phase D braucht – manche kommen schon in der Phase C nach Hause – also GANZ! NACH! HAUSE!
So oder so: in diesen Tagen dürfen wir uns relativ sicher sein, dass wir auf jeden Fall „Bergfest“ haben – vielleicht haben wir es auch schon hinter uns… aber nach den drei zurückliegenden Monaten werden es HÖCHSTENS noch weitere drei. Und das ist einfach ein sehr gutes Gefühl für alle Beteiligten: bis hierher haben wir es geschafft, dann packen wir die zweite Hälfte doch auch! 😉

…und morgen gibt es ein neues Bett für Samuel, in dem aber erstmal überhaupt nicht geschlafen wird. Aber dazu im nächsten Blog!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert