An diesem Dienstag wird umgesetzt, was sich gestern schon ankündigte: nach Wochen des Liegens wird es eine erste „Begegnung“ mit dem Rollstuhl geben und damit eine sitzende Position, Beweglichkeit über das Bett hinaus!
Auch wenn Samuels Aufmerksamkeit über die Augen nicht besonders „langlebig“ ist zur Zeit und er also noch wenig von der Umgebung mitbekommt, so ist dies dennoch ein Meilenstein! Um das Ziel Rollstuhl zu erreichen, ist allerdings erstmal das Sitzen an der Bettkante vonnöten und einzuüben – das alleine fordert viel Kraft, denn der Gleichgewichtssinn ist ja doch ziemlich aus der Übung…
Mit den Augen wird versucht, einen Punkt zu fixieren, das Bett wird so weit runter gefahren, dass die Füße den Fußboden spüren können. Nach ein paar Minuten in dieser Position soll er sich aufrichten, möglichst das rechte Bein (das unverletzte) belasten – und dann, nach einem kurzen Steh-Moment, wird er rüber in den Rollstuhl gesetzt. Dort erlebt er ein paar Minuten und dann geht es auch schon wieder zurück ins Bett, wo sich Samuel nach diesem Kraftakt erstmal sichtlich erholen muss und sich auf die Seite dreht.
Nach einer kurzen Verschnaufpause mache ich ein Hörspiel der „Teufelskicker“ an – dank WLAN und Spotify hat man ja nun doch relativ viele Möglichkeiten.
Schön ist an diesem Tag noch, dass die „Empfangsdame“ des Hauses, die uns auch in der ersten Woche rumgeführt hat, sagt: also, ich hab hier ja nix zu sagen – und ich hab ja auch nur „Pudding-Abitur“ (Gymnasium für Hauswirtschaft, falls jemand mit dem Begriff nix anfangen kann), aber wenn Sie mich fragen: „Ihr Sohn geht gesund nach Hause!“
Das nehm ich natürlich gerne mit. Auch wenn ich selbst mir oft nicht vorstellen kann, wie ein oft noch apathisch schauendes Kind wieder „voll da sein soll“ bzw. wie manches, das jetzt offensichtlich nicht mehr ist, wieder wird. Aber gut, dass es eben nicht nur Menschen wie die Empfangsdame gibt, sondern auch Ärzte und Pfleger, die da sehr zuversichtlich sind – und wenn die das sagen!!!…!!!
Am Mittwoch durfte bzw. wollte Katharina mal wieder zu ihrem Bruder – wenn auch nur kurz. Aber diesmal wurde ein selbst gemaltes Türschild mitgebracht, neben dem Schild von Janno, dem Bettnachbarn, was meine Frau noch „auf die Schnelle“ angefertigt hatte. Katharina ist einfach klasse: sie focussiert sich „ganz professionell“ auf all die Dinge, die Samuel zusehends kann – und nicht auf das, was da noch fehlt…
An diesem Tag gab es auch einen rührenden Moment: als seine jüngste Schwester Elisabeth auf seinem Bauch lag und ihn anblubberte und angriente, öffnete er seine Augen und lächelte zurück.
Im Rollstuhl gab es heute ein Lachen und eine erhobene „Mandela-Faust“ – auch bei diesem Anblick lief uns ein Schauer über den Rücken. Es ist Wahnsinn, was Samuel uns zeigt – es ist Wahnsinn, wie uns Gott das Staunen lehrt über seine Taten! Denn davon sind wir zutiefst überzeugt: wir und so viele andere haben für Samuel gebetet und tun es immer noch unablässig – und wir dürfen erleben, wie Gott wirkt, wunderbar, großartig – und wir sind positiv gespannt, welche wunderbaren Momente Gott uns mit Samuel noch schenken wird.
Am Donnerstag gab es tatsächlich dann den nächsten „Quantensprung“: morgens ist Yvonne bei ihm und schickt mir irgendwann ein Foto mit einer krakeligen Schrift, auf der SAMUEL und MAMA zu lesen ist. Okay, an der Linienführung wird noch zu arbeiten sein… 😉 Aber dieses Zeichen ist der Hammer und beeindruckt alle schwer, die mit Samuel zu tun haben. All das geschieht ja auch immer noch unter einer gewissen „Dunstglocke“ der Medikamentengabe, die ihn immer noch schläfrig sein lassen. Oh man, ich bin wirklich mega-beeindruckt: von Gott und von unserem Sohn!
Die Essens-Übungen laufen auch immer besser. Leider gibt es unter den Logopäden unterschiedliche Meinungen… die eine würde am liebsten jetzt schon die Essensgabe „freigeben“, d.h. dass auch Pflegepersonal und Angehörige Breikost und ähnliches geben können – ein wichtiger Schritt hin zum Essen ohne Magensonde. Da gibt es aber wie gesagt unterschiedliche Meinungen – und wir hängen ein bisschen dazwischen.
Nur immer Sondennahrung, zwischendrin mal ein bisschen Babykost… gleichzeitig mehr Beweglichkeit und Muskelaufbau über Physio und Ergo… – das führt zu Gewichtsabnahme… Beim Wiegen wurde festgestellt, dass Samuel nun doch mittlerweile gute 5kg abgenommen hat im Vergleich zum Gewicht vor dem Unfall. Bei nun noch 30kg ist das natürlich kein Pappenstil… Aber es gibt ja die Aussicht auf Gewichtszunahme, wenn die Magensonde endlich… seufz…
Auch die Sprache kommt langsam wieder. Noch lautlos, aber doch deutlich. An diesem Tag ist ein flüsterndes HALLO und ein ebenfalls flüsterndes JA zu hören. Oh, was für eine Freude!
Ich habe in diesen Tagen das Privilleg, mit ein paar guten alten Freunden mich treffen zu können und gute, intensive, tiefgehende Gespräche zu haben. Danke euch! Es ist ja gar nicht immer so, dass ich wesentliche seelsorgerliche Impulse für mich brauche. Oft ist es schlicht und einfach das Verbunden-sein über so lange Zeit hinweg, das sich mit-teilen über persönliche Dinge beider Seiten, das Eintauchen in Themen abseits meines „Samuel-Tunnels“, das „Fachsimpeln über Gott und die Welt“, das einfach gut tut.
Schließen möchte ich heute mit der Losung von Mittwoch, d. 25.10. „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ steht im Buch der Klagelieder 3,26. Und ich merke: ja, das stimmt! Ich würde mich grundsätzlich schon auch als geduldigen Menschen beschreiben, aber in diesen Zeiten bekommt Geduld noch mal eine neue Qualität – und es ist wirklich spannend, zu entdecken, wie Gottes Hilfe zu SEINER Zeit kommt.

Das ist so schön zu lesen, lieber Willem, DANKE dafür, dass Du diese wunderbaren Momente der Kontaktaufnahme und Fortschritte mit uns teilst. Mein Tag beginnt sofort zu leuchten, obwohl es draußen so trübe aussieht. Liebe Grüße an Samuel und knuddel ihn ganz doll von uns, denn in Gedanken sind wir immer bei ihm.
Ganz herzliche Grüße an Dich und Deine Lieben
von Sonja Soltau
Lieber Willem,
wie schön, dass Du diesen Weg gewählt hast, Dich mitzuteilen den Menschen, die an Dich/an Euch alle und besonders an Samuel denken. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht immer einfach ist, sind es doch oft ganz persönliche, intime Momente, die Du beschreibst.
Als mein Mann 1998 seinen Schlaganfall hatte, habe ich nach langer Zeit wieder traditionell Tagebuch geschrieben und mir sind diese Aufzeichnungen bis heute wichtig, so manche Kleinigkeit wäre im Alltag untergegangen, manchen Gedanken hätte ich über die Zeit vergessen.
Du schreibst nun „Tagebuch 2.0“ und ich bin mir sicher, auch Dir, Deiner Frau, Samuel und seinen Geschwistern wird das immer viel bedeuten. Samuel ist noch so jung und dieses Ereignis wird, auch wenn es weitgehend ohne Folgen „verheilt“, immer ein Teil seines Lebens bleiben. Gleiches gilt für Dich, Yvonne und die drei Geschwister, wie wunderbar, dass Du da so ein Schatzkästlein mit wichtigen Erinnerungen und Erlebnissen füllst und auch andere daran teilhaben lässt.
Überhaupt macht Ihr alle das einfach großartig und ich bete nicht nur für Samuel, sondern für die ganze Familie Heins und grüße Euch alle ganz herzlich mit meinem Lieblings-Abendlied, dem Abendsegen von Rheinberger: Bleib bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.
Die Scherfs aus Fuhlsbüttel