der 26.9.2017 als plötzliche „Stop-Taste“ in Samuels Leben – der Tag des Unfalls

So sagt es der Polizeibericht:
http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/59458/3746059
so schreibt es das Abendblatt:
https://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article212064769/Kind-schwebt-nach-Unfall-in-Lebensgefahr.html
und so die Lüneburger Landeszeitung:
https://www.landeszeitung.de/blog/lokales/1088701-winsen-kind-bei-verkehrsunfall-lebensgefaehrlich-verletzt
solche Artikel sind mir im Laufe des Lebens schon x-mal als Zeitungsleser begegnet, manchmal schon kam ein flüchtiger Gedanke „WIE SCHRECKLICH“… aber dieses eine Mal war es der Bericht über den persönlichen Albtraum von Eltern, Geschwistern, Großeltern, Freunden, Paten, Nachbarn, Schulkameraden usw. – der Bericht über den Unfall unseres (!!!) Sohnes.
Ich selbst war zum Zeitpunkt des Geschehens in Hamburg, in meinem Büro der St. Lukas Kirchengemeinde in Fuhlsbüttel. Yvonne, meine Frau, war gerade in der Stadt (Winsen) unterwegs, um Besorgungen zu machen. Katharina, die ältere Schwester, war auch unterwegs – sie hatte Konfirmandenunterricht. Und Charlotte, die dreijährige Schwester spielte im Garten, zusammen mit dem Nachbarsjungen und dessen Mama, Sabrina.
Was sich genau ereignet hat, kann man nur rekonstruieren. Samuel wird es uns nicht mehr berichten können, da davon auszugehen ist, dass er keine Erinnerung an diese Momente behalten wird. Was wir ahnen, ist:
seine Freunde waren vor unserem Haus an der Hoopter Straße. Er wollte mit seinem Fahrrad wohl zu seinen Freunden und ist dabei, ohne vom Fahrrad abzusteigen, unvermittelt auf die Hoopter Straße gefahren. Sein Glück: er hatte einen Helm auf, sonst wäre es wohl definitiv tödlich ausgegangen.
Aus Fahrtrichtung Stöckte kam ein VW Passat, der ihn nicht gesehen hat – und Samuel hat (warum auch immer…) das Auto nicht bemerkt, so dass es zum Zusammenstoß kam. Dabei ist unser Kind mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt und von dort im hohen Bogen mitsamt Fahrrad über die Straße geflogen, wo er in der Nähe des Kantsteins liegen blieb.
Glücklicherweise ist in diesem Moment kein Auto aus der Gegenrichtung gekommen, das ihn wohlmöglich direkt noch mal überrollt hätte… es wäre nicht auszudenken gewesen…
Und auch „zum Glück“ war unser Nachbar von Gegenüber, ein erfahrener Ersthelfer, sofort zur Stelle! Die Nachbarin, die mit ihrem Sohn bei Charlotte in unserem Garten war, war auch recht schnell zur Stelle und rief nach dem RTW sowohl mich als auch Yvonne an, so dass wir umgehend informiert waren.
In Minutenschnelle war der RTW zur Stelle und wenige Minuten später auch schon der Hubschrauber, der Samuel umgehend zum UKE nach HH-Eppendorf flog.
Oftmals ärgere ich mich über den weiten Weg von zuhause zur Gemeinde, in der ich arbeite… aber in diesem Fall war es gut, dass ich in HH war – so konnte ich recht schnell am UKE sein, noch vor dem Hubschrauber.
Yvonne, natürlich unter Schock, konnte aufgrund unseres Babys (Elisabeth, sie wurde an diesem Tag ein halbes Jahr alt) weder im Hubschrauber mitfliegen, noch wäre sie in der Lage gewesen, selbst Auto zu fahren… – sie wurde von einer Frau, die zufällig in der Nähe des Geschehens war, in unserem Auto zum UKE gefahren, zusammen mit unserer Kleinsten…
Die Stunden, die dann folgten, kann ich nur noch unter einer „Schock-Glocke“ erinnern:
– das Irren über das riesige UKE-Gelände, um die Notaufnahme zu finden…
– das auf- und ab Laufen vor dem Notaufnahme-Bereich wie ein Tiger im Käfig, unruhig wartend auf unseren Sohn, auf Ärzte, die etwas dazu sagen können, auf meine Frau…
– die ersten Informationen: „er hat ein schweres Trauma erlitten“, er hat Brüche erlitten… des linken Unterschenkels, des linken Schlüsselbeins, der Schädelbasis… er wird gleich operiert… – und das alles, ohne ihn bis dahin ein einziges Mal gesehen zu haben; nur Worte waren es, die mir das alles beschrieben, was passiert war; dazu gesellten sich Bilder in meinem Kopf, von denen ich nicht wusste, wie real sie sein würden
– das Eintreffen meiner unter Schock stehenden Frau mit unserer Kleinsten, der Versuch des Zuspruchs einer ehrenamtlichen Helferin, die uns erstmal warme Vanille-Milch anbot, das Eintreffen von Samuels Patentante Sara, die seit diesem Moment ganz nah an uns und an Samuel blieb (dazu später noch mehr), die zufällige Begegnung mit einer ehemaligen Nachbarin, die als Polizistin arbeitet und gerade in dem Moment einen Einsatz hatte und völlig perplex war, uns dort zu treffen
– das anschließende lange Warten im Warteraum vor der Kinder-Intensiv-Station, ein Ort, der in der nächsten Zeit eine Art zweites Zuhause werden würde
– das Vorbeischauen meiner Eltern, der besten Freundin meiner Frau, Samuels Patentante Sara – das alles tat gut, hat mich aber auch nur „irgendwie“ erreicht…
– die ersten bangen Minuten am Bett unseres Sohnes, der völlig verkabelt schon im künstlichen Tiefschlaf war, intubiert (beatmet), mit verbundenem Bein, einer Sonde im Kopf… – unser lebendiger, sportlich, musikalischer Samuel, vor einigen Stunden noch fröhlich mit seinen Freunden spielte, nun also offensichtlich IN LEBENSGEFAHR!
IN LEBENSGEFAHR! Diese Worte hallten nach und drangen immer tiefer in mein Bewusstsein. Kein normaler Unfall, der nach einigen Tagen Krankenhaus wieder ins normale Leben führt, sondern eine lebensgefährliche Kopfverletzung mit unabsehbaren Folgen, selbst im „Überlebens-Fall“…
Ich selbst war noch viel zu geschockt, um zu weinen, konnte das alles noch gar nicht begreifen. Aber die Ahnung, dass wir vielleicht unseren Sohn verlieren, wenn der Druck im Hirn zu stark steigt und sich ein Ödem bildet, durch das dann der Hirntod eintreten würde… diese Ahnung schlich sich nicht nur in meinen Kopf, sondern auch in mein Herz, in meinen Bauch, in meine Beine…

Und es war nicht leicht, in dieser Situation eine Entscheidung zu treffen: sollen wir an seinem Bett wachen? Wird auf der Intensiv-Station nicht gerne gesehen…
Können wir irgendwo in der Nähe übernachten? Es hätte Möglichkeiten gegeben, aber ob wir dort zur Ruhe gekommen wären?…
Wir entschieden uns, trotz der Entfernung von Winsen zum UKE (45min. mit dem Auto) nach Hause zu fahren, um ein bisschen Kraft zu tanken. In einer dringenden Notsituation hätten wir einen Anruf bekommen und wären sofort wieder zur Klinik gefahren.
Diese Autofahrt war alles andere als leicht. Yvonne und ich hatten beide Schocksymptome… aber irgendwie sind wir in Winsen angekommen…
Und irgendwie schliefen wir auch in dieser Nacht. Nicht gut, nicht viel, aber irgendwie doch ein bisschen… bis der neue Tag begann, der 27.9. …

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